Oktober

#ateliergartenatelier, #artemisiaGARTEN

26. Oktober 2018

Kaum sind die letzten Reste des artemisiaGARTENs vom Tullner Pflaster gefegt wachsen sie weiter. Die Artemisien sind in den Garten in Elsbach zurückgekehrt, um dem Winter entgegen zu wuchern. Sie geben dem Garten “Ohne Titel”, namenlos und schwebend, nun Namen, Titel und Thema: artemisiaGARTEN.

August, der Monat der Artemisien

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Das Chaos muss ausgehalten werden.
— Anna Oppermann

31. August 2018

Von der Roten Melde sind nur mehr ein paar trockene Stengel übrig, die Samen haben sich über den Platz verteilt. Die burgunderdunklen Blüten der Dahlia 'Kenora Macop B' sind auf den massigen Stängeln vertrocknet, doch neue Blüten sind bereits sichtbar. Der artemisiaGARTEN wird wieder grün - dafür sorgt die Artemisia annua, die unbeirrt von Hitze oder Trockenheit weiter wächst.    

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19. August 2018

Als Gärtner muss ich schließlich dafür sorgen, dass im Garten nichts wuchert.
— Byung-Chul Han

Ich habe keine Angst vor der ungezügelten Kraft der Pflanzen. Es wuchert noch immer, wuchert immer weiter, die Pflanzen fallen ineinander, stützen einander, durchdringen einander. Über Mittag setze ich mich neben den artemisiaGARTEN und lese das 'Lob der Erde' von Byung-Chul Han. Zum Schmunzeln, dieses Unbehagen der Philosophen vor dem Wuchern von Gedanken und Pflanzen, diese Lust an der Illusion von Kontrolle. Ich halte es lieber mit Anna Oppermann und finde, als Künstlerin muss ich dafür sorgen, dass die Pflanzen im Garten wuchern.  

Für die offizielle Kirche war Maria von Anfang an in erster Linie ein Mittel, um eine andere, ältere Himmelskönigin zu entthronen und ihren Einfluss einzudämmen bzw. unter Kontrolle zu bekommen. Nicht zufällig wurde “Maria Himmelfahrt” auf einen alten Festtag der Diana-Artemis gelegt, jener uralten Frauengöttin, die unter den verschiedensten Namen und in vielerlei Gestalt über Tausende von Jahren hin verehrt worden ist.
— Erni Kutter

8. August 2018

Hitzewelle. Den Artemisien machen die heißen Tage nicht viel aus, ganz im Gegenteil, jetzt können sie sich voll entfalten, blühen, duften. Doch die anderen Pflanzen leiden unter der Trockenheit und altern sichtlich schneller. Neue Farben tauchen auf: sprödes Braun, vergilbtes Grün und trockenes Schwarzrot. Artemis neben Maria.   

6. August 2018

Die Hitze bringt die Tomaten zum reifen, rote und schwarze Punkte zwischen dem Blattwerk. Als ich beim artemisiaGARTEN ankomme sehe ich eine junge Frau beim Ernten und freue mich, dass jemand einfach zugreift und den Mut hat den Garten auch zu schmecken. Optisch werden die großen, burgunderfarbenen Dahlien immer bestimmender, wie dunkle Sterne schweben sie über allem.

Die Pflanzen: Artemisia

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Mein Garten/Atelier ist voll mit Artemisien. Ein großer Strauß steht nun vor mir am Arbeitstisch. Der aromatische Geruch, die Bitterkeit, ihr Sonnenhunger, die grazile Form der Blätter, die Farbigkeit, - die Kraft, die von den Pflanzen ausgeht: Ich liebe Artemisien. Ich will sie um mich haben, mit ihnen leben, sie kennenlernen. Jede einzelne dieser Pflanzen hat eine eigene Persönlichkeit und auch eine ganz eigene (Kultur-) Geschichte. Wo immer ich hinfahre forsche ich nach ihnen, manchmal kann ich sogar neue Arten mit heim bringen. Mit meiner Sammelleidenschaft bin ich europaweit recht allein, nur einen weiteren Sammler konnte ich bisher finden.  

Artemisia annua, August 2017

Artemisia annua, August 2017

Artemisia annua

Die einjährige Artemisia leuchtet satt hellgrün aus dem Garten, in dem sie sich seit ein paar Jahren selbständig versamt. Ihre fein gefiederten Blätter auf bis zu 2m hohen Pflanzen verweben sich mit Verbenen und Dahlien und sind eine echte Bereicherung. Doch darüber hinaus hat die Pflanze das Potenzial zu einer der bedeutendsten Heilpflanzen der Gegenwart zu werden, denn ihre Wirksamkeit gegen Malaria ist mittlerweile erwiesen. Für die Extraktion des Artemisinin erhielt die chinesische Pharmakologin Tu Youyou 2015 den Nobelpreis für Medizin. Vor allem in Afrika kann der Anbau von Artemisia annua tausende Menschenleben retten. 


Artemisia argyi, Mai 2018

Artemisia argyi, Mai 2018

Artemisia argyi

Das blassblaue Samensäckchen schien fast leer als ich es aufmachte, so winzig sind die Samen. Eine einzige Pflanze ging schließlich auf, ängstlich gehütet und beobachtet. Es dauerte ein ganzes Jahr bis sie sich zu einer kraftvollen, reichlich Ausläufer treibenden Pflanze entwickelte. Ein paar Jahre später steht sie nun in üppigen, leicht bitter duftenden Horsten im Garten. Sie treibt sehr früh aus und meist kann ich schon im März die ersten Blätter für frischen Tee, Suppen, Quiche oder Frühlingssalate ernten. Artemisia argyi ist nicht so bitter wie Artemisia absinthium oder Artemisia vulgaris und eignet sich am besten zum Verzehr.

Ursprünglich stammt sie aus China, Japan und dem südöstlichen Rußland. Dort ist sie nichts Besonderes und wächst an Böschungen und Straßenrändern, auf Schuttplätzen und in den Steppen. Die botanische Erstbeschreibung erfolgte durch zwei französische Geistliche und Botaniker, Augustin Abel Hector Léveillé (1863-1918) und Eugène Vaniot (1846-1913), die an den vielen tausend Pflanzenexemplaren forschten, die von Sammlern aus Fernost verschickt wurden. Aus diesen Lieferungen konnten sie etwa 2000 (für Europa) neue Arten ermitteln.

In China wird Artemisia argyi als Heilpflanze, aber auch in der Küche genutzt. Besonders wichtig ist die Pflanze zur Zeit des Drachenbootfestes, das am 5. Tag des 5. Mondmonats stattfindet, also ungefähr zur Sommersonnenwende am 21. Juni. Um Ungeziefer und schädliche Geister fernzuhalten werden große Büschel von Artemisien an Fenster und Türen gehängt oder als Duftbeutel verschenkt. An diese Tradition knüpfe ich im Sommer an, wenn ich die Artemisia argyi bis fast auf den Boden zurückschneide um die Blätter zu trocknen. In große Kissenbezüge gefüllt begleitet mich ihr Duft den Rest des Jahres.


Artemisia lactiflora, August 2017

Artemisia lactiflora, August 2017

Artemisia lactiflora 'Weisse Dame'

Sie wird auch Elfenraute genannt, so zart leuchten die milchig-weißen Blütenwolken im Dämmerlicht vor dem dunklem Hintergrund des Gehölzrandes - und vor meiner Terrasse. Auch sie kommt aus China, doch unterscheidet sie sich in vielerlei Hinsicht völlig von anderen Artemsisien. Sie liebt feuchte, nährstoffreiche Standorte und verträgt auch Halbschatten. Der wohl größte Unterschied sind ihr herb-frisch duftenden Blüten, die an warmen Sommerabenden den Garten verzaubern. Die 'Weisse Dame' ist eine besondere Auslese von Ernst Pagels, einem der erfolgreichsten Staudenzüchter Deutschlands. Sie blüht besonders reich und unentwegt von Juli bis September. Die langen, fragilen Blütenrispen verzweigen sich locker, sie erscheinen weiß, wobei die Einzelblüten, bedeckt durch eine weiße Hülle, lila-purpurrot sind. 


Artemisia vulgaris, Mai 2018

Artemisia vulgaris, Mai 2018

Artemisia vulgaris

Die Versuchsbeete im Botanischen Garten der Universität Wien waren umrahmt von dieser Artemisia, die leicht mehr als 2 Meter hoch wird. Sie hat ungewöhnlich wollige Stengel, vielleicht eine neue Art? Vor meiner Terrasse ist sie ein wunderbarer sommerlicher Begleiter, Sichtschutz und Duftpflanze gleichzeitig.


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Artemisia vulgaris var. gilvescens

Hohe Horste mit sattgraugrünen, breiten Blättern und einer silbrigen Unterseite, eindrucksvoll wie diese Artemisia im Garten steht. Im Hochsommer lässt sie alle anderen im Beet verschwinden, und das ist gut so. Sie kommt aus dem Osten Sibiriens, auch am Yang Tse und der Manschurei findet man sie. Ihr Duft lässt sich kaum beschreiben, vielleicht als exzentrisch herb-aromatisch? In jedem Fall passt sie hervorragend in meine getrockneten Räucherbündel. 


Artemisia vulgaris var. ligusticus, Mai 2018

Artemisia vulgaris var. ligusticus, Mai 2018

Artemisia vulgaris var. ligusticus

Sie wird nur einen Meter hoch, neben den hohen Arten könnte sie fast zurückstehen, doch dafür sie breitet sich ungewöhnlich rasch aus. Innerhalb eines Jahres hat eine Pflanze gut 3 Quadratmeter besiedelt, vielleicht sollte mir das Sorgen machen...? In ihrer Heimat ist die Artemisia ligusticus ein beliebtes Gewürz für Pastasaucen, Fisch und Fleisch, ein wenig riecht sie auch nach Thymian. Im Lauf des Sommers werden ihre Blätter immer dunkler, eine perfekte Ergänzung zu ihren silbrigen Schwestern.


Artemisia vulgaris 'Oriental Limelight', Mai 2018

Artemisia vulgaris 'Oriental Limelight', Mai 2018

Artemisia vulgaris 'Oriental Limelight'/'Janlim'

Eigentlich sind panaschierte Sorten nicht so mein Ding, 'Oriental Limelight' ist eine Ausnahme. Über Jahre behält sie schon ihre hellen Einsprengsel, wird immer breiter und fühlt sich sichtbar wohl. 


Das unbezähmbare Wuchern

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

..., dass Unkraut, Verfall, Tod und Scheitern Teil meiner Methode des Gärtnerns seien...
— Henk Gerritsen

28. Juli 2018

Was für ein Durcheinander! Die Pflanzen wachsen, kippen gegeneinander um, verwickeln sich in einander, lassen sich nicht mehr trennen und ordnen. Die Artemisien duften in der glühenden Mittagshitze, einige schon überreife Tomaten platzen auf. Die erste Dahlia 'Bishop of Llandaff' blüht leuchtend rot. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge teilen sich den Luftraum über dem Garten und sorgen für zartes Summen und Brummen.

23. Juli 2018

Hoch über allem leuchtet die 'Kenora Macop B' - endlich. Sie hat sich mit dem Blühen Zeit gelassen, ist dafür aber außergewöhnlich hoch geworden. Das Farbspektrum verändert sich langsam, herbstliche Töne mischen sich ins satte Grün. Das kurze Schweben zwischen Aufstieg und Talfahrt, zwischen Wachstum und Sterben.  

 

7. Juli 2018

Der Garten scheint am Höhepunkt. Peak Garden. Hochsommer. Noch blühen nicht alle Dahlien, aber an manchen Stellen verfärben sich die ersten Blätter und vertrocknen. Ein kurzer Moment am Gipfel. Die Tomaten reifen, die Samenstände der Roten Melde verbraunen. Die neuen Farben sind willkommen. Weshalb soll ich versuchen den Verfall zu verschleiern? Verblühte Dahlien abschneiden, trockene Blätter entfernen? Dem Garten jetzt seine Wildheit nehmen? 

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Grünkraft

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün.
— Hildegard von Bingen

30. Juni 2018

Samstag Mittag in Tulln: Mittagssirene, kurz darauf zeigt sich die Sonne. Ein paar Regentage haben den Dahlien gut getan, auch die 'Bishop of Llandaff' und die 'Kenora Macop B' setzen schon Blüten an. Wie kleine schwarze Windmühlenrädchen tanzen die Blüten der 'Verrone's Obsidian' über dem Garten, dazwischen flattern Bläulinge und Kohlweißlinge. Die Samenstände der Roten Melde leuchten im Mittagslicht. Sieht wild aus, oder?  

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21. Juni 2018

Noch liegt der Garten im Schatten, aber man spürt schon wie sich die grelle Sonnenhitze nähert und die Farben zum flirren bringt. Es explodiert, meinen die Gärtner, die nebenan die Geranien jäten, und sie haben recht. Die Konsumwelt rundum verschwindet hinter den Pflanzen. Zwischen den Beeten tauche ich in den Hauch von Artemisien und Paradeisern, die an den Rispen sich schon schwärzen.

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11. Juni 2018

Es ist kaum mehr möglich zwischen den Beeten durchzugehen, die Pflanzen nehmen jede Möglichkeit sich auszudehnen wahr und beanspruchen jeden noch freien Raum. Es wird nötig sie zu stützen, denn der Weg durch dieses Dickicht, der Moment, in dem man mitten in der Stadt im satten, aromatisch duftenden Grün verschwindet, das ist der wichtigste Aspekt der Arbeit. 

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Die Jahrhunderte sind immergrün

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Die Geschichte der Gärtnerei ist der Triumph derer mit den grünen Daumen, begleitet vom Gelächter schäumender Brunnen.
— Derek Jarman

31. Mai 2018

Die Pflanzen stehen dicht verwoben, immer stärker kontrastieren dunkle Töne das satte Grün der verschiedenen Artemisien (argyi, douglasiana, annua, lactiflora, canna und vulgäre). Die Rote Melde und die zart violetten Blüten der Verena bonariensis wachsen über alle hinaus, die ersten dunklen Tomaten sind schon sichtbar. Dazwischen das dunkle Laub der Dahlia 'Bishop of Llandaff' und die schwarzen Sterne der 'Verrone's Obsidian'. Der Garten gleicht immer mehr seinem Vorbild.

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23. Mai 2018

Der artemisiaGARTEN wächst und wächst: Schon ist die erste schwarzrote Dahlie, 'Verrone's Obsidian', kurz vor dem Aufblühen - auf Augenhöhe. Die violetten Blüten der Verbena bonariensis schweben zwischen den saftig grünen Artemisien und den burgunderfarbenen Blättern der Atriplex hortensis var. rubra, der roten Gartenmelde. 

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Archaisches Grün koloriert die Zeit. Die verstreichenden Jahrhunderte sind immergrün. Grün kleidet die Erde in Stille, verebbt und flutet mit den Jahreszeiten. In ihm liegt die Hoffnung auf Neubeginn. Wir spüren, dass Grün mehr Schattierungen hat als jede andere Farbe, wenn die Knospen das winterliche Dunkel in den Hecken durchbrechen. Halluzinatorische, sonnige Tage.
— Derek Jarman

16. Mai 2018

Das Blattwerk beginnt seine Farben zu entfalten, Artemisiengrün, Chromoxidgrün, Erbsengrün, Olivgrün, Viridiangrün, Distelgrün, Smaragdgrün, Saftgrün. Mehr Grün als ein Fotograph aufnehmen kann. Sonnendurchleuchtet oder glänzend nass vom Regen. Es zeigt sich, dass Grün auch Bordeaux sein kann, Zitronengelb oder fast Schwarz, mit einem Hauch von Braunviolett.  Nur ein paar zartgelbe Tomatenblüten, roter Klatschmohn und pudrig weißer Lauch, mehr blüht noch nicht. Die Farbe steckt im Blattgrün. 

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5. Mai 2018

Noch ist der Garten nur ein Versprechen, noch sieht nichts wild aus. 

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2. Mai 2018

Vor einer Woche gepflanzt, noch einmal Erde nachgefüllt. Die Eröffnung kann beginnen...

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Der Garten muss wilder werden.

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Wir haben beschlossen, wilder zu sein: Wir haben für unsere Werke der wilden Schöpfung die Wildnis gewählt.
— Mary Daly

Es gibt sie tonnenweise: Tipps und Tricks für den Sommergarten, für den Wintergarten, Tipps für den kleinen Garten, kleine Tipps für deinen Garten. Profitipps für Macher, Gartenideen für Anfänger, mit Gartentipps zu einem immer schöneren Garten. Altes Wissen für den Garten, Bauerngarten leicht gemacht. Gartenregeln für den Kleingarten, 10 Regeln für einen attraktiven, pflegeleichten Garten. Ist der Garten nicht per definition der Bereich der gezähmten Natur, der Ordnung, jener kleine Bereich der Welt, den der Mensch unter Kontrolle hat? Der Gärtner, gottgleich, hat den Überblick, weiß wo es lang geht, wo etwas wachsen darf und wo nicht. Wurzelsperren und Insektenhotels. "Ist nicht die Lust am Gärtnern längst überformt durch einen sturen Ordnungsfanatismus, durch den die Natur gerade verhindert wird, so zu wachsen, wie sie wachsen will?" (1) Ach ja, die Natur. Wie sie wachsen will, das wissen die Ökologen und Naturgärtner: sich selbst regulierende, stabile Systeme im Gleichgewicht. Wie gut, dass sich die Natur nicht darum kümmert. Genug davon. An einem warmen Abend im August, inmitten der wuchernden Artemisien, wurde uns klar: Das Leben lässt sich nicht einschränken. Im Garten nicht einmal durch den Tod. Jeder Versuch diesem Wesen Regeln aufzuerlegen wird umgehend subtil umwachsen. Ebenso wie der Versuch aus dem Vorhandenen, naturbelassen oder nicht, etwas anderes als Kurzschlüsse abzuleiten. Die führt schon der nächste Mistkäfer ad absurdum. Da helfen keine Tipps, keine Regeln und Wachstumstabellen auch nicht. Kontrolle behalten? Ordnung? Lächerlich und nekrophil. Der Garten aber ist biophil, voll mit Leben, Lebewesen und Lebensweisen, Möglichkeiten und Enttäuschungen, die neue Möglichkeiten entbergen. Es wurde klar: Der Garten ist wild. Und sie muss wilder werden.     

Wild - was bedeutet das eigentlich? Mary Daly schreibt dazu:

"Als Hilfestellung, um den Ruf unserer wilden Natur zu hören / zu er-innern, können wir uns die seltsame und un-wahrscheinliche Sprache des Lexikons ansehen, die, entgegen all seinen Absichten, diesen Ruf übermittelt.

Wild wird dort erklärt als "im Naturzustand leben; natürliche Schlupfwinkel bewohnen; nicht gezähmt oder domestiziert ... einer Art angehörend, die normalerweise nicht domestiziert wird." Es heißt, "wachsen oder entstehen ohne Hilfe und Pflege von Menschen; nicht kultiviert; von der unberührten Natur hervorgebracht ... URSPRÜNGLICH". Es heißt, "nicht in der Nähe oder in Gemeinschaft mit Menschen lebend". Es heißt, "nicht bewohnt oder kultiviert". Es heißt, "keinen Einschränkungen und Vorschriften unterworfen: UNKONTROLLIERT, UNBEHERRSCHT, ZÜGELLOS".

Wild bedeutet: "keiner Kontrolle, Einschränkung oder Domestizierung zugänglich: WIDERSPENSTIG, UNZÄHMBAR, VERWEGEN". Es heißt "(auf ein Schiff bezogen) schwer zu steuern". Es heißt, "normale oder konventionelle Grenzen im Denken, in Entwürfen, Konzeptionen, Ausführung oder Natur überschreiten: EXTRAVAGANT, PHANTASTISCH, VISIONÄR". Es heißt, "keine Kulturaneignung einer fortgeschrittenen Zvilisation: PRIMITIV, UNZIVILISIERT, BARBARISCH". Es heißt, "sich keiner Regierungsautorität unterwerfen: UNGEZÄHMT, UNLENKSAM, REBELLISCH". Es heißt, "Charakteristikum von, gehörend zu, oder Ausdruck von Wildnis, freilegenden Tieren oder Leuten in einer einfachen oder unzivilisierten Gesellschaft oder Umgebung".

Wild bedeutet, "von natürlichem oder erwarteten Kurs, Ziel oder Praktik abweichen; handeln erscheinen oder sich manifestieren auf unerwartete, unerwünschte oder unvorhersehbare Weise: ZIELLOS, UNBERECHENBAR". Es heißt, "durch keine bekannten Theorien abgedeckt".

Wild heißt, "groß in Ausdehnung, Umfang, Quantität oder Intensität: EXTREM, GEWALTIG". Es heißt, "(auf eine Spielkarte bezogen) einen Wert haben, der jeweils vom Spieler bestimmt wird"." (2)

Artemisia momijamae, August 2017

Artemisia momijamae, August 2017

Es heißt "lebenskräftig, stark sein, ... die Grundbedeutung von wild geht also auf ungeschwächte, ungezähmte Naturkraft zurück". Es heißt "überhaupt in unverändertem Naturzustande befindlich, in ursprünglicher natürlicher Beschaffenheit, von menschlicher Kunst und Absicht unberührt; insbesondere in Ansehung der körperlichen, physischen Natur: der menschlichen Bildung, Kultur, Zucht, Pflege oder Sorgfalt ermangelnd, nicht gezähmt, nicht veredelt, nicht angebaut, nicht künstlich hervorgebracht oder geregelt".

Es heißt "von Pflanzen, welche wild wachsen, das ist unangebaut und ohne Pflege, entgegen den Garten- und Feldgewächsen, auch ein wilder Boden, ein wildes Land, eine wilde Gegend, ohne Spuren regelnder Kunst". 

Es heißt "hässlich, garstig, schmutzig, das ist der äusserlichen Bildung oder Pflege ermangelnd, - ein wildes Gesicht, ein wildes Mädchen, auch wildes Wetter -, der gesellschaftlichen Bildung, Gesittung und geregelten Lebenseinrichtung ermangelnd, im rohen Naturzustande lebend,  ungesittet, unzivilisiert". Es heißt "der höheren sittlichen Bildung und Erziehung ermangelnd, und in diesem Mangel gegründet, sinnverwandt roh, ungesittet, unsittlich, ungezogen".

"In bestimmterer Bedeutung" heißt es "seine Leidenschaften nicht zügelnd, sinnverwandt zügellos, unbändig, grausam, in hohem Grade heftig, ungestüm: wild wüten oder rasen, wilde Begierde, ein wildes Vergnügen, wilde Blicke, ein wildes Pferd, das ist ein unbändiges, ungestümes, ein wilder Strom". Es heißt "von leidenschaftlicher Aufwallung oder Erregtheit in einem besondern Falle, höchst unwillig, ungehalten, aufgebracht, zornig, böse: wild werden, in Zorn geraten, einen wild machen, wild auf jemand sein".

Es heißt "scheu, zum Ausreißen geneigt,  auch fremd, unbekannt, fremdartig, ungewöhnlich, erstaunlich, sonderbar, seltsam, auffallend: welche Bedeutung ihren Grund in dem Gegensatz des Wilden, Ungebildeten, als eines Ungewohnten, Fremden, gegen das Gebildete, Heimische hat, daher noch jetzt: wildfremd für ganz fremd". (3)

Artemisia annua, Dahlia 'Verrone's Obsidian' und 'Kenora Macop B', August 2017

Artemisia annua, Dahlia 'Verrone's Obsidian' und 'Kenora Macop B', August 2017

Ungezähmt und unbezähmbar, wütend, leidenschaftlich, hässlich, kulturlos. Die Regeln und Grenzen überschreitend, nach eigenen Regeln lebend, nur um sich auch über sie hinwegzusetzen. Was nun ist an diesem Garten wild? Eine besonders ökologisch richtige Pflanzenauswahl? Ein Porträt einer unberührten Landschaft? Das interessiert uns nicht. Keine Natur im Garten. Aus dem Garten hört man wildes Lachen. Wild ist überschwänglich und öde im Überfluss. Sie wachsen nicht in verordneten Bahnen, Zeiten und Trögen. Sie wachsen überall: zwischen den Fugen im Asphalt, in Wüste und Sumpf, Rathausplatz und Brache. Sie breiten sich aus, verwildern. Sie laden dazu ein selbst zu verwildern. Artemisien, benannt nach Artemis, der wilden Göttin, sind bitter und ungezügelt im Wachstum. Mitten im August verlieren wir uns zwischen den hohen, duftenden Pflanzen, werden selber Pflanze, verwurzeln uns wieder. Als Teil des Gartens werden auch wir wilder, leidenschaftlich, zornig und durch keine bekannte Theorie fassbar.       


(1) Michael Andritzky: Grün als Ware. In: Andritzky & Spitzer (Hg.): Grün in der Stadt – von oben/von selbst/für alle/von allen. Reineck 1981, S 117

(2) Mary Daly: Gyn/ökologie. München 1986, S 360f

(3) Johann Heyse: Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinsicht auf Rechtschreibung, Abstammung und Bildung, Biegung und Fügung der Wörter, so wie auf deren Sinnverwandtschaft. Magdeburg 1849, S 1968f

artemisiaGARTEN

Ein Garten nach einem Bild für den Rathausplatz in Tulln

#greenARTtulln, #artemisiaGARTEN

Der Garten ist ein Modell der Welt im Maßstab 1:1.
— Lucius Burckhardt

Steinpflaster und Kugelahorn; niedrige, bunt und ohne sich zu versamen blühende Pflanzen bestimmen den Raum rund um die Mariensäule – ein Garten, auch hier. Das Modell einer geordneten Welt. Alles unter Kontrolle.

Der Garten ist ein Modell für unseren Umgang mit der Welt, unsere Weltsicht, unseren Zugriff auf die Welt: Egal wie groß oder wie klein er ist, birgt er immer eine Utopie in sich. Wie wollen wir leben? Fest verankert im hier und jetzt verweist der Garten auf eine Vergangenheit und auf eine Zukunft.

Der Garten muss wilder werden.

Der artemisiaGARTEN entsteht im Kontrast zu den gewohnten Beeten, wuchernd, dunkel und überschwänglich, ein Ort des Überflusses als Antithese zur gebändigten Natur. Der Entwurf des Gartens folgt in der Auswahl der Pflanzen einem gemalten Bild: Ungewöhnliche Pflanzen in einer ungewöhnliche Zusammenstellung. Die Pflanzen kommen aus unserer Sammlung von Pflanzen der Gattung Artemisia und werden ergänzt durch Dahlien und dunkle Gemüsesorten.

Die Artemisia-Arten, von denen es über dreihundert gibt, waren  bereits in der Antike als Heil- und Gewürzpflanzen bekannt. Sie haben grünlich-graue Blätter, der Geschmack ist oft bitter, ihr Duft herb-würzig und die Blüten sind meist unscheinbar. Im Garten treffen sich Pflanzen unterschiedlicher Herkunft: Artemisia annua, der einjährige Beifuss, den es in Österreich nur mehr selten gibt, und dessen heilende Wirkung gegen Malaria Hoffnung gibt. Artemisia argyi, eine in China beliebte Varietät des Beifusses. Artemisia lactiflora 'Weiße Dame' oder Elfenraute, eine intensiv duftende Sorte des Pflanzenzüchters Ernst Pagels. Artemisia momijamae, eine selten kultivierte Art aus Japan mit ungewöhnlich graugrünen Blättern und einem kontrastreichen, silbrigen Rücken. Artemisia vulgaris var. gilvescens, eine Wildart aus dem Osten Sibiriens, eine eindrucksvolle herb-aromatische Heilpflanze. Dazu dunkle Tomaten, wie die Sorten 'Dancing with Smurfs' und 'Helsing Junction Blues', die erst vor kurzem gezüchtet worden sind. Begleitend dazu die violetten Blütenschirmchen der Verbena bonarensis, rote Melde und roter Amarant, dunkellaubige und burgunderfarbe Dahlien blühen dazwischen.

Natürlich sind die Aussagen der Gärten nicht einfach lesbar; die Bedeutung von Kunstwerken – und Gärten sind Kunstwerke – ist keineswegs eindeutig. Gärten sind vielmehr das grosse Experimentierfeld, auf welchem die Zeitalter tastend in jene Gefilde vorstiessen, zu welchen sie aufschiebbare Gedanken noch nicht entwickelt hatten.
— Lucius Burckhardt

Der artemisiaGARTEN besteht aus parallel angeordneten Beeten, zwischen denen Betrachter durchgehen können, sich im Garten verlierend, umschlossen vom Geruch der Pflanzen.

Sommer 2018 am Rathausplatz Tulln, Eröffnung: Samstag, 5. Mai ab 10 Uhr

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Anita ist gegangen. 

30.5.1975 Krippau - 30.10.2017 Wien

KAUST King Abdullah University of Science and Technology, Saudi Arabien 2014 

KAUST King Abdullah University of Science and Technology, Saudi Arabien 2014 

Mir kamen heute beim Malen die Gedanken her und hin und ich will sie aufschreiben für meine Lieben. Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest. Meine Sinneswahrnehmungen werden feiner, als ob ich in den wenigen Jahren, die mir geboten sein werden, alles, alles noch aufnehmen sollte. Mein Geruchsinn ist augenblicklich erstaunlich fein. Fast jeder Atemzug bringt mir eine neue Wahrnehmung von Linden, von reifem Korn, von Heu und Reseden. Und ich sauge alles in mich ein und auf. Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar.
— Paula Moderson-Becker

Ich habe Anita 2006 bei ihrer Aufnahmeprüfung in der Klasse für Landschaftsdesign an der Angewandten kennengelernt. Ich habe die eigenartige Erinnerung an diesen Tag, dass es in dem Moment, als sie das Zimmer betreten hat, ein wenig heller geworden ist, die Farben ein wenig bunter wurden. Mit der Zeit wurde sie von der Studentin zur Künstlerin, zur Kollegin, zur Freundin und zur künstlerischen Partnerin. Nach ihrem Diplom 2012 bot sich die Gelegenheit zu zweit ein Projekt bei der Chelsea Fringe in London zu machen, und danach haben wir einfach nicht aufgehört. Nicht weil wir einen großen Plan gehabt hätten, sondern aus reiner Freude. Gemeinsam haben wir riesige Wandbilder gemalt, und so viele Arbeiten auf Papier, haben Staudenbeete geplant, und haben Workshops und Ausstellungen auf der halben Welt gemacht. Anita war eine leidenschaftliche und unkonventionelle Künstlerin, präzise und voller Energie. Jeder Bereich der mit Form, Materialästhetik, Raum und Atmosphäre, mit Schönheit zu tun hatte, hat ihr keine Ruhe gelassen. Sie liebte die praktische Seite der Kunst, die Arbeit mit Farben und Pflanzen. Sie wusste was sie wollte, und wenn nicht, hatte sie genug Neugierde und Freude am Risiko um es herauszufinden.

Eines ihrer schönsten Werke nannte sie "flirrend weiss". Ein gemaltes Bild diente als Grundlage für die Pflanzenauswahl eines weiß blühenden Staudenbeetes, das sie im Botanischen Garten pflanzen konnte. Über Jahre hinweg machte sie ein Mal wöchentlich von oben ein Foto dieses Beetes, ob Sommer oder Winter. Sie war eine genaue, ausdauernde Beobachterin, die Woche für Woche jede Veränderung registrierte. Im Hintereinander dieser Bilder sieht man das Wachsen, das Blühen und das Vergehen dieser Pflanzen. Man sieht die Erde und das Unkraut. Auf manchen Bildern sieht man nur ein paar trockene Blätter. "Da ist ja nichts" könnte man sagen, aber genau diese Bilder zeigen ihre feine künstlerische Wahrnehmung: Sie sah die Schönheit der Welt auch dort, wo eigentlich nichts, nur ein wenig feuchte Erde oder ein paar zufällige Farbtupfer waren. Sie sah die Blumen in der Malerei, und die Malerei in den Blumen. Unsere gemeinsame Arbeit ist eingebettet in diesen Kreislauf aus Pflanzen und Farben.

Mit Anita zu arbeiten war mühelos wie ein Tanz. Wir wussten, was die andere tut und waren gleichzeitig neugierig darauf. Wir machten gewagte Sprünge, und vielleicht sind wir manchmal ausgerutscht, aber wir wussten, dass wir einander auffangen und aus dem vermeintlichen Fehler eine neue, aufregende Choreographie entwickeln können. Ich bin Anita für jeden Schritt, für jede gemeinsame Minute, für jedes Lächeln dankbar. Und trotzdem, es war viel zu wenig, viel zu kurz. Sie fehlt mir.

aguilas

Withered, thorny plants skeletons in merciless light of midday, bright gray. Zigzag, unruly and thorny, yellow green.