Ausstellung
Eröffnung | Freitag, 23. Juli 2021, ab 18:00 Uhr
Ausstellungsdauer | 24. Juli bis 21. August 2021
Öffnungszeiten | Während der Sommermonate nur nach Vereinbarung, bitte um email an hallo@puuul.space
Selbstverständlich immer unter Einhaltung der aktuellen Covid-19 Schutzmassnahmen!
puuul, Stolzenthalergasse 6 im Hof, 1080 Wien
Der Ruf der Sirenen ist schrill, er geht durch Mark und Bein, erschüttert im ursprünglichsten, körperlichen Sinn. Als Töchter der Chthon, der Erdentiefe, und Gefährtinnen der Persephone, der Königin der Unterwelt, wissen sie was ist, was sein wird und was war. In dieser Verheißung von Wissen, und nicht in der Schönheit ihres Gesangs oder ihrer Erscheinung, sieht Cicero ihre eigentliche Anziehung. In der antiken Literatur werden acht Sirenen namentlich erwähnt: Aglaophonos, die mit der schönen Stimme; Thelxiope, die bezaubernde Stimme; Peisinoe, die Überredende; Parthenope, die mit der Mädchenstimme; Molpe, die Singende; Ligeia, die Helltönende; Leukosia, die Weiße und Himeropa, die mit der sanften Stimme. Nichts in ihren Namen deutet auf ihr angeblich verderbliches Wesen hin. Sirenen lügen nicht, sie warnen. Und immer öfter ist es nötig Aussagen über die Erde, Gaia, als Warnungen zu formulieren: Warnungen, die für alle gleichermaßen relevant sind.
Der Ruf der Sirenen ist schlecht, gelten sie doch als gefährliche Verführerinnen, denen nicht zu trauen ist. Seit Jahrtausenden dienen sie als Projektionsflächen für Männerphantasien aller Art. Laut Adorno und Horkheimer repräsentieren sie all das, was das abendländische Individuum unterdrücken musste, “bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war”. Ein Selbst, das ohne Wirtschaftswachstum, Gewalt und Expansion nicht aufrecht zu erhalten ist. Ein vernünftiges Selbst, das die Welt distanziert beobachtet, Sachzwänge akzeptiert und das All erobert. Ein fragiles Selbst, das Befehle lieber hört als Widerworte, lebensfern, in Serie gefertigt und stapelbar. Beschreibt das bereits den Zusammenhang zwischen unbequemen Frauen, die ihre Stimme erheben, der Natur, deren Überleben am Spiel steht, und dem Verlangen warnende Stimmen zum Schweigen zu bringen?
Wie aber von der Erde sprechen? Es lohnt sich, den Sirenen genauer zuzuhören. Sie sprechen von Unheil, Feuer, Unfällen, all dem, was im Leben schief gehen kann. Und es ist immer die Wahrheit. Die Sirenen benehmen sich nicht wie es die Gesellschaft von Frauen erwartet. Haben sie etwas zu sagen, dann bleiben sie nicht ungehört. Sie schämen sich nicht für ihre Stimme, sie flüstern nicht, sie beschwichtigen nicht, sie argumentieren nicht und lassen sich nicht auf Diskussionen ein. Sie lassen sich nicht unterbrechen. Sie machen keine Vorschläge, keine Zeitpläne oder Termine.
Die Beziehung zur Erde, Gaia, ist zutiefst ambivalent und verwirrend. Die Begriffe, die zur Verfügung stehen ungenügend: Schon die Formulierung "Beziehung zur Erde" zeigt das Ausmaß der Entfremdung, denn die Distanz, die angedeutet wird, gibt es nicht. Was aber bedeutet es, in einer belebten Welt zu leben, "einer Erde, die unter den Schritten vibriert" (Bruno Latour: Facing Gaia). Wie fühlt es sich an, die Erde als einen reagierenden Körper wahrzunehmen? Es ist verlockend, jedes Erdbeben, jede Flut, jede (Natur-)Katastrophe als Antwort der Erde auf das zerstörerische Handeln des Menschen zu interpretieren."Die Natur schlägt zurück" ist eine Phrase, die oft in Artikeln über die Klimakrise verwendet wird. Nun verwandelt sich der Glaube an einen strafenden Gott zur Wahrnehmung einer übelwollenden, strafenden Natur - einer Natur, die zu bezwingen doch der "männliche Charakter des Menschen geschaffen war" (Adorno & Horkheimer: Dialektik der Aufklärung). Lösungen sind schnell zur Hand: die Bewältigung der Klimakrise oder der Flug zum Mars, beides ist letztlich durch Wissenschaft und Technik machbar. Doch das Problem liegt tiefer. Es eröffnet sich durch die von Bruno Latour so umfassend und sensibel formulierte Frage:
Hannah Stippl erzählt von der ökologischen Krise als einer Krise des patriarchalen Weltzuganges und nutzt dafür Elemente aus antiken Mythen, Philosophie und Popkultur. Konzeptionell, poetisch und persönlich zugleich zeigt die Ausstellung unterschiedliche Arbeiten der letzten zwei Jahre, die zu weitergehenden Assoziationen auffordern.
The call of the sirens is shrill, it goes through marrow and leg, shakes in the most original, physical sense. As daughters of Chthon, the earth's deep, and consorts of Persephone, queen of the underworld, they know what is, what will be, and what was. It is in this promise of knowledge, rather than in the beauty of their song or appearance, that Cicero sees their real attraction. Eight sirens are mentioned by name in ancient literature: Aglaophonos, the one with the beautiful voice; Thelxiope, the enchanting voice; Peisinoe, the persuader; Parthenope, the one with the girlish voice; Molpe, the singer; Ligeia, the bright-sounding one; Leukosia, the white one; and Himeropa, the one with the gentle voice. Nothing in their names indicates their supposedly corrupt nature. Sirens do not lie, they warn. And more and more often it is necessary to formulate statements about the Earth, Gaia, as warnings: Warnings that are equally relevant to everyone.
Sirens have a bad reputation, as they are dangerous seductresses who are not to be trusted. For millennia they have served as projection surfaces for male fantasies of all kinds. According to Adorno and Horkheimer, they represent all that the occidental individual had to suppress "until the self, the identical, purposeful, masculine character of man was created." A self that cannot be sustained without economic growth, violence and expansion. A rational self that observes the world detachedly, accepts constraints, and conquers space. A fragile self that prefers to listen to orders than to talk back, distant from life, mass-produced and stackable. Does this already describe the connection between uncomfortable women who raise their voices, nature whose survival is at stake, and the desire to silence warning voices?
But how to speak of the earth? It is worth listening more closely to the sirens. They speak of disaster, fire, accidents, all that can go wrong in life. And it is always the truth. Sirens do not behave as society expects women to behave. If they have something to say, they do not remain unheard. They are not ashamed of their voice, they do not whisper, they do not appease, they do not argue and do not get involved in discussions. They do not allow themselves to be interrupted. They do not make suggestions, schedules or appointments.
The relationship with the Earth, Gaia, is deeply ambivalent and confusing. The terms available are inadequate: even the phrase "relationship with the Earth" shows the extent of the alienation, for the distance implied does not exist. But what does it mean to live in an animated world, "an earth that vibrates under the steps"(Bruno Latour: Facing Gaia). How does it feel to perceive the earth as a reacting body? It is tempting to interpret every earthquake, every flood, every (natural) disaster as the Earth's response to the destructive actions of humans. "Nature strikes back" is a phrase often used in articles about the climate crisis. Now the belief in a punishing God is transformed into the perception of an evil-willing, punishing nature - a nature that the "masculine character of man was created to conquer" (Adorno & Horkheimer: Dialectic of Enlightenment). Solutions are quickly at hand: overcoming the climate crisis or flying to Mars, both are ultimately feasible through science and technology. But the problem lies deeper. It opens up through the question formulated so comprehensively and sensitively by Bruno Latour:
Hannah Stippl tells of the ecological crisis as a crisis of patriarchal access to the world, using elements from ancient myths, philosophy and pop culture. Conceptual, poetic and personal at the same time, the exhibition shows different works from the last two years that invite further associations.