Den Pflanzen folgen

kuratiert von Anna Doppler-Kunčić, Ursula Gaisbauer und Hannah Stippl

Zur Eröffnung spricht Maria Christine Holter, Kunsthistorikerin, Kuratorin und Mitbegründerin der Artists for Future in Österreich

Mit Maria Thereza Alves (BR/D) & Lucrecia Dalt (COL/D), Anna Doppler-Kunčić (A), Anita Fuchs (A), Ursula Gaisbauer (D/A), Veera Komulainen (FI/A), Wilhelm Scherübl (A) und Hannah Stippl (A)

Die Ausstellung „den Pflanzen folgen“ vereint Positionen zeitgenössischer Künstler*innen, die sich mit der fragilen Beziehung von Natürlichkeit und Künstlichkeit auseinandersetzen, in deren Mittelpunkt Pflanzen stehen. Sie sind unauflöslich mit dem menschlichen Leben verbunden, nicht nur als natürliche Lebensgrundlage, auch kulturell sind wir pflanzlich tiefer verwurzelt als uns bewusst ist. Die Kunstwerkstatt in der Gartenstadt Tulln, dem Zentrum des Gartenbaus in Österreich, ist ein idealer Ort um den verschlungenen Wegen der Pflanzen zu folgen.

Pflanzen stehen im Brennpunkt von Diskussionen um Kolonialismus, Kapitalismus, Klimawandel und Biopolitik. Maria Thereza Alves und Lucrecia Dalt suchen nach indigenen Namen für die Pflanzen im Botanischen Garten Berlin. Mit ihrem Hörstück öffnen sie einen Raum für die vielschichtigen Stimmen des Urwalds – organisch und anorganisch, menschlich und nicht-menschlich, spekulativ und real. Dabei zeigen sie auch, wie diese Stimmen durch europäische Kolonisatoren zum Schweigen gebracht wurden. Anna Doppler-Kunčić dokumentiert mit ihren Aquarellen kaleidoskopische Zusammenspiel von Pflanzen und Landschaften, denen sie auf Reisen an den Schnittstellen von Kultur und Natur begegnet. Anita Fuchs folgt den Bruchlinien der Geschichte, an denen Politik und Botanik aufeinander treffen. Im Zentrum dieser Verwerfungen steht wechselnde nationale Zugehörigkeit des Salbeigamander, Teucrium scorodonia, dessen zartgrüne Präsenz in der Ausstellung in Kontrast zu den versteinerten Pflanzenfossilien steht. Ursula Gaisbauer begleitet 2018 eine brasilianische Tillandsia, die wissenschaftlich noch nicht beschrieben wurde, aus dem Botanischen Garten Wien zurück nach Rio de Janeiro, wo sie nach 2 Jahren zu blühen beginnt. Diese Blüte steht im Mittelpunkt der Arbeit „Till o.T.“, in der die Künstlerin etablierte Machtstrukturen naturwissenschaftlicher Namensgebung in Frage stellt.Veera Komulainen beschäftigt sich mit Wurzeln, der Verbindung zur Erde und der Vergänglichkeit, während Wilhelm Scherübl die Sonnenblume und ihre Hinwendung zum Licht ins Zentrum seiner Arbeiten stellt. Hannah Stippl widmet sich der „Taxonomie des Vergnügens“ am Beispiel einer Sammlung von Iris-Pflanzen, deren Sortennamen von Süßspeisen inspiriert sind. Der Garten wird zur Wunderkammer kapitalistischer Sehnsüchte.

Im Zentrum der in der Ausstellung vertretenen Arbeiten ist die kritische Auseinandersetzung mit der alltäglichen Objektivierung von Pflanzen. Stichprobenartig werden vielfältige Möglichkeiten wissenschaftlicher, ökonomischer, politischer oder persönlicher Beziehungen thematisiert, nicht um Fragen zu beantworten, sondern, ganz im Gegenteil, um neue und weiterführende Fragen zu provozieren.

Becoming Forest Yourself (Daphne)

Zur Ausstellung im puuul 22. Juli bis 27. August 2022

Ein Gott verfolgt eine Nymphe, die er begehrt, über Stock und Stein; und sie entzieht sich, indem sie sich in einen Strauch oder Baum verwandelt (denn der Lorbeer kann beides sein) – mehr passiert eigentlich nicht in dieser kleinen mythologischen Geschichte von Apoll und Daphne, die Ovid in seinen »Metamorphosen« erzählt.
— Burkhard Müller: Apoll und Daphne - Geschichte einer Verwandlung

Es ist nur eine kleine mythologische Geschichte, eine Liebesgeschichte noch dazu, die nicht glückt und in der auch nicht viel passiert. Für seine Zusammenfassung der Geschehnisse würde der Lateinprofessor Müller jedenfalls keine Bestnoten bekommen, auch wenn er damit voll im Mainstream liegt. Die verharmlosende Darstellung sexueller Übergriffe sind so alltäglich, dass sie schon beinahe nicht auffallen. Doch dieses Missverhältnis ist nicht der einzige Grund für meine Auseinandersetzung. Dieser liegt in der völlig übersehenen machtpolitischen Bedeutung der sogenannten Vorgeschichte, deren gewaltsame Beendigung so oft in Mythen verarbeitet wird.

Wenn wir Ovids »Metamorphosen« so auf fassen, zeigt er uns durch das schmale Fenster seiner Geschichten eine Perspektive in die Tiefen der Epochen: ein Jahrtausend, das ihm vorausgeht, seit die antike Kultur allmählich aus den Dark Ages aufgetaucht ist und ihre Formen entfaltet hat; zwei Jahrtausende, die ihm seither gefolgt sind bis zu unserer eigenen Gegenwart. (...) Alles, was noch älter ist als jene drei Jahrtausende, besitzt für uns nicht mehr denselben Zauber der Kontinuität und gehört mit Fug und Recht zur Vorgeschichte.
— Burkhard Müller: Apoll und Daphne - Geschichte einer Verwandlung

Was also geschah vor 3000 Jahren, an der Schwelle der Geschichte, in Delphi, dem Mittelpunkt der griechisch-antiken Welt, wo Daphne und Apoll einander treffen?

Es beginnt mit der Ermordung der geflügelten Schlange Python, Kind der Gaia und hellseherische Beschützerin des delphischen Orakels. Geschickt betont Ovid die Rechtmäßigkeit der Heldentat, indem er die Schlange zum ungewollten Kind der Gaia und zur Bedrohung der Menschen erklärt.

Zwar wollte sie diese nicht – doch brachte sie damals auch dich, riesiger Python, hervor; für die neue Bevölkerung warst Du, unbekannte Schlange, etwas Schreckliches, soviel Raum nahmst Du an Masse ein.

Diesen – er war von tausend Pfeilen getroffen und sein Gift lief aus schwarzen Wunden aus – tötete der bogenführende Gott, der solche Waffen bisher nur für flüchtige Gemsen und Rehe benutzt hatte; sein Köcher war fast leer.
— Ovid

Der jugendliche Held, voller Stolz wegen des Sieges über die Schlange, verhöhnt Amor, der sich mit einem Liebespfeil in Apolls Richtung revanchiert: Völlig entlastet von jeder Verantwortung entbrennt der mächtige Gott in Liebe zu Daphne. Doch sie, Jägerin, Nymphe, Priesterin der Gaia oder einfach selbstständige Frau, will von keinem Mann etwas wissen, auch wenn das nicht einfach durchzusetzen ist.

Viele haben sich um sie bemüht, doch sie blieb abgeneigt, duldet die Bewerber nicht und durchstreift ohne einen Mann die abgelegenen Wälder; auch kümmert sie weder Ehe, noch Liebe, noch Beischlaf.
— Ovid

Doch Frauen können nicht (mehr) für sich stehen, sondern sind Eigentum der Männer, Väter, Ehemänner, Söhne. Ehe und Fortpflanzung sind ihre Pflicht, freie Bewegung oder Entscheidungen sind für sie nicht vorgesehen. Doch es gibt ein Schlupfloch: das Gefolge der Jägerin Artemis/Diana.

Auf Diana beruft sich Daphne denn auch ihrem Vater gegenüber; und der ist weichherzig und schwach genug, es ihr zu gewähren.
— Burkhard Müller: Apoll und Daphne - Geschichte einer Verwandlung

Der Vater gesteht Daphne widerwillig Unabhängigkeit zu, was der Lateinexperte als Schwäche auslegt. Doch dem Apoll ist ihre Meinung völlig gleichgültig. Sie flüchtet, er redet: von seiner Macht, seiner Herkunft, seiner Liebe, er schmeichelt und droht; sie läuft bis zur Erschöpfung. Als letzten Ausweg sieht sie nur die Möglichkeit sich der Schönheit zu entledigen, die sie in diese Lage gebracht hat.

Zerstöre die Gestalt, in der ich allzusehr Gefallen erregt habe, durch eine Verwandlung.

Kaum ist die Bitte ausgesprochen, befällt eine schwere Starre die Glieder, die weiche Brust wird von zartem Bast umschlungen, die Haare werden zu Laub, die Arme zu Zweigen, der eben noch so flinke Fuß bleibt in zähen Wurzeln stecken, das Gesicht trägt einen Baumwipfel: Es bleibt ihr als letzter Rest von Schönheit.

Auch so liebt sie Apoll und seine rechte Hand, die er an den Stamm gelegt hat, spürt noch immer das Herz unter der frischen Rinde beben. Nachdem er die Zweige wie Glieder mit seinen Armen umfangen hat, gibt er dem Holz Küsse; das Holz freilich weicht den Küssen aus.
— Ovid

Daphne entzieht sich dem Übergriff radikal - sie schlägt Wurzeln, verholzt, wird zur Pflanze, zum Lorbeerbaum. Und trotzdem wird sie zur Beute, wenn nicht als Frau, so doch als Baum, Material und Zeichen zugleich. Als Lorbeer wird die besiegte Daphne zum Symbol für männliche Macht - bis heute. “(…) mehr passiert eigentlich nicht in dieser kleinen mythologischen Geschichte von Apoll und Daphne (…)”. Die Liebesgeschichte maskiert die Geschichte der Machtübernahme des Sonnengottes über das Orakel in Delphi, jenem Ort, wo die antike Welt Rat suchte. Damit sind die Macht und damit einhergehende Faszination des Medienmoguls Apoll bis heute gewährleistet. Er wird zum wandlungsfähigen Vorbild von Ludwig XIV. bis Jeff Koons. Die Verachtung der Erde inklusive - nicht umsonst tragen diverse “Raummissionen” den Namen Apollos, und so ist es auch kein Zufall, dass gleichzeitig mit Koons Ausstellung “Apollo” im Schlachthaus auf Hydra seine Kunstwerke ins All geschickt werden (sollen).

How To Become A Tree (Daphne), Ausstellungsansicht 2022, Foto Matthias Nemmert

Ein Streich von Eros, eine Parabel über die Macht der Liebe, oder doch, die Liebe zur Macht? Eine Geschichte kaschiert eine andere: Die Liebesgeschichte übertönt die Geschichte der Unterwerfung der Gaia,der gewaltsamen Übernahme der Ressourcen und ihrer Verfügbarmachung,bis zur Zerstörung: eine fatale Niederlage der Erde. Wo Ovids Geschichte der Daphne endet, dort beginnen viele neue Erzählungen, Interpretationen und das Anthropozän. Die Geschichte der Daphne bleibt präsent als Samenkorn, bereit zur Keimung.

How To Become A Tree (Daphne), Ausstellungsansicht 2022, Foto Matthias Nemmert

Der wilde Garten

Auszug aus einen Text von Norbert Philip, für Die Presse Schaufenster

Meine Bilder sind Gärten, und Gärten sind immer auch Bilder.

Die Künstlerin Hannah Stippl irgendwie auch im Garten aufgewachsen. Viel Zeit hat sie als Kind draußen verbracht, im Freiraum zwischen dem Haus ihrer Großeltern und dem Bahndamm, auf dem die Züge aus Wien Richtung Süden donnern, in Perchtoldsdorf. Dort, wo alles fein parzelliert und abgezirkelt in der suburbanen Landschaft liegt, ist Stippl in ihre Beziehung mit Natur, Landschaft und Leben hineingewachsen. “Heute noch bemerke ich, wie die Perspektive aus dem Garten auf die schräge Wiese des Bahndamms in vielen meiner Bilder auftaucht”, erzählt Stippl.

Und irgendwie ist auch ihr Kopf ein Dickicht, ein Garten, wo alles, wenn man es nur lässt und nicht beschneidet, sich gegenseitig überwuchert. Stippl lässt das bewusst geschehen. Das Philosophische, das Künstlerische, das Leben, alles darf sich überwachsen. Ihre Bilder seien Gärten, sagt sie. Und Gärten immer auch Bilder. Dabei legt sie ihren Arbeiten auch immer gern ein paar Worte und Gedanken bei. Schließlich hat Stippl auch Philosophie studiert. “Wir leben doch in einer Welt, in der alles in Dualismen aufgeteilt scheint. Wie etwa hier Natur, dort Kultur. Aber daran glaube ich nicht”, sagt Stippl. Im Garten kommt sowieso alles zusammen, was die Menschen beschäftigt. Und selbst Tod und Leben existieren hier nicht getrennt voneinander, sondern überblenden. “Dazu muss man nur vor einem Komposthaufen stehen und überlegen, wo fängt es an, wo hört es auf.” In Elsbach, unweit von Wien, hat Stippl selbst einen Garten. Einen, der, wie sie meint, auch von manchen “Ungärten” umgeben ist, in denen die “Liebe zum Lebendigen” konterkariert wird. Nämlich wenn die Mähroboter, Kettensägen und Heckenscheren das Leben regelmäßig beschneiden. Oder Bäume erst fallen müssen, damit danach die Sonnenschirme die Menschen künstlich vor der Hitze schützen müssen. “Manchmal stelle ich wirklich eine Art Feindschaft gegenüber dem Lebendigen im Garten fest”, meint Stippl. Vielleicht weil es viel schwieriger sei, “den Garten lebendig zu machen”.

Gärten kommen ganz gut ohne den Menschen zurecht. Auf dem Grundstück von Hannah Stippl darf der Garten auch viel Zeit mit sich selbst verbringen. Letztes Jahr war die Künstlerin ein halbes Jahr im Ausland; als sie zurückkam, war der Garten übersät mit Nachtkerzen. Ein faszinierendes Bild, das die Natur selbst geschaffen hat. Die Bilder, die Stippl schafft, sind auch überwachsen von organischen Eindrücken und Gedanken. Zuletzt beschäftigte sie sich gern mit Mythologien. Etwa mit der Figur der Daphne, die sich auf der Flucht vor Apollo in einen Baum verwandelt. Als Ausgangspunkt für eine gedankliche und visuelle Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Menschen zur Natur, die sie sie mit Farbe durch Sprühschablonen wie zuletzt auch typografisch auf Papier bringt.

Flora Iranica

Hill, Maybe Damavand. 2018/2022, acrylic, gouache and spraypaint on canvas, 140 x 200 cm

Flora Iranica: Vom Fuße des Elburs und des Zagros bis zu den Kuppen der Alpen

Ausstellungsprojekt kuratiert von Farshid Larimian

Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen dem Naturhistorischen Museum Wien (NHM), dem Österreichischen Kulturforum (ÖKF) Teheran und der Aknoon Art Gallery Isfahan, Iran.

Kurator Farshido Larimian erweitert diesen Blick in die Vergangenheit mit künstlerischen Arbeiten von David Eisl, Hannah Stippl, Regina Anzenberger, Karin Maria Pfeifer, Marianne Lang , Michaela Putz, Karin Pliem, Christina Gruber, Yvonne Oswald und Christopher Wittine.

Stay with the Earth,

alienated.

A vast ecosystem breathes,

salty seawater,

cultivated soils,

chemical residues,

the dispersed debris of houses,

trees cars plastics electronics,

entangled.

Now later tomorrow.

An Earth that vibrates underfoot,

each being being being's link.

The Dispersed Debris Of Houses, 2021, acrylic, gouache and spraypaint on unstreched canvas, 160 x 330 cm

Parallel Vienna 2021: About Landschaft

Eine Ausstellung mit Rosa Andraschek (A), Elisabeth Falkinger (A), Christina Gruber (A), Tony Heywood (GB) und Hannah Stippl (A)


Ausstellung

Eröffnung | Dienstag, 7. September 2021, 17:00 – 22:00 Uhr

Ausstellungsdauer | 8. bis 12. September 2021

Mittwoch - Freitag 13:00 – 20:00 Uhr, Samstag - Sonntag 12:00 – 19:00 Uhr

Ort | Ehemalige Semmelweisklinik, Haus 2, Hockegasse 37, 1180 Wien

“Dark Garden” 2020, Acryl, Gouache und Sprayfarbe auf Papier, 84 x 59,5 cm

"Vertraute Landschaften verändern für immer ihr Gesicht", so titelte Focus Mitte März 2021 in Sorge über den drohenden Verlust des deutschen Waldes. Die Gegenwart lässt vertraute Aussichten und Begriffe ins Bodenlose taumeln. Anthropozän, Klimakrise, Covid-19 Pandemie: Der Mensch kann seine Position als unbeteiligter Betrachter nicht länger halten. Die Natur ist distanzlos geworden und, als Problem, omnipräsent. Wir begegnen ihr im Supermarktregal, im Wetterbericht, in der Autowerbung - sie alle haben längst ihre Unschuld verloren. Sind Landschaften überhaupt noch mehr als sentimental-nostalgische Erinnerungsstücke?

Am Beginn dieses Projektes steht mit der Frage nach der Landschaft eine Definition. In ihrem Buch mit dem bezeichnenden Titel ‚Vieldeutige Natur’ formulieren Thomas Kirchhoff und Ludwig Trepl eine idealtypische Definition von Natur als ‚Landschaft’, ‚Wildnis’ und ‚Ökosystem’ entlang der philosophisch geläufigen Unterscheidung des ästhetischen, des moralisch-praktischen und des theoretischen Urteils.

Wir gehen davon aus, dass Auffassungen von Natur als Landschaft auf einem ästhetischen, von Natur als Wildnis auf einem moralisch-praktischen und von Natur als Ökosystem auf einem theoretischen Urteil beruhen, wobei die primäre Urteilsform die jeweilige Naturauffassung nicht unbedingt vollständig bestimmt. Mit anderen Worten: Primär ist Landschaft ein ästhetischer, Wildnis ein moralischer und Ökosystem ein theoretischer Gegenstand bzw. Begriff von Natur.
— Thomas Kirchhoff & Ludwig Trepl

Auch in dieser Definition zeigt sich das Problem des Anthropozäns, denn die vielfachen Verflechtungen von Ästhetik, Theorie und Moral erweisen sich als gordischer Knoten, der sich nicht mehr so einfach durch theoretische Setzungen zerschlagen lässt. Das Ausstellungsprojekt versucht den Überlagerungen und Vermischungen, den Sprüngen und Rissen dieser Wahrnehmungsweisen nachzugehen und verweist auf die mit ihnen verbundenen Vor-Urteile. Wie in Mehrfachbelichtungen scheinen unterschiedliche Wahrnehmungs- und Urteilsformen in jeder einzelnen Arbeit auf. Doch erst der Hintergrund der Definition zeigt das Ausmaß der Verwerfungen, die den gemeinsamen Nenner der teilnehmenden KünstlerInnen ausmachen.

Und - nein, es gibt keine Lösung, keine Möglichkeit sich zu entziehen, keine einsamen Inseln oder unentdeckten Kontinente, die noch zur Verfügung stehen, kein jenseitiges Paradies, keinen Aufbruch zu neuen Planeten. Es gilt zur Welt zu kommen, oder, wie Donna Haraway es formuliert: “Staying with the trouble.”

Blickfelder

Die BLICKFELDER dieser Ausstellung sind menschenleer, keine heroischen Landschaften. Dennoch befassen sie sich mit unserem Blick auf die Natur: So nahe, dass das große Ganze nicht zu sehen ist, sondern von der kleinen Zelle – von seinem Wesen her erschlossen wird. Die zugrunde liegenden Prozesse, Werden und Wandel in der Zeit stehen im Fokus der Betrachtung.

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Die Ausstellung BLICKFELDER bietet die Möglichkeit einige Arbeiten aus der Serie Fragmentarische Landschaften zu zeigen.  

Hügel, Böschung, Dickicht: fragmentarische Landschaften, Abschnitte, Ausschnitte, nichts Großes. Diese Landschaften entziehen sich dem Überblick, dem großen (Ent)wurf. Keine Übersicht, kein Blick von oben auf die Landschaft, sondern ein Blick von unten, nahe dem Boden. Die Landschaft baut sich vor der Betrachterin auf. Die Vegetation ist ein Gegenüber auf Augenhöhe, detailreich, unübersichtlich und zum Greifen nah. Der Blick verliert sich. Diese Bilder sind immer unvollständig, voller Auslassungen, unlogisch und zufällig. Der apollinische Blick aufs Sublime ist verstellt von Nebensächlichkeiten, von Schnörkeln und Tupfen. Kein Ausblick für Eroberer oder souveräne Gestalter, sondern ein Blick von Mittendrin, teilhabend und mit-erlebend. Auf Brachen und Deponien, in der Unordnung, im Durcheinander.

Fragmentarische Landschaft, 2019, Acryl und Gouache auf Papier, kaschiert auf Leinwand, 60 x 80 cm

Fragmentarische Landschaft, 2019, Acryl und Gouache auf Papier, kaschiert auf Leinwand, 60 x 80 cm

Mich interessieren die Struktur und der Aufbau von Landschaften, der Punkt, an dem sich Landschaften in sich wiederholende Strukturen auflösen, der Punkt, an dem sie durchdrungen sind von diesen Mustern. Mich interessieren Klischees, Tapetenblumen und Palmen auf Musterwalzen, Schablonen, selbst angefertigte ebenso wie vorgefertigte. Schicht auf Schicht bauen sich meine Bilder langsam auf. Der Beginn ist zufällig, Farbflächen, Muster, Überlagerungen. Mit der Zeit verdichten sich die verschiedenen Farbschichten, ein Bild wird sichtbar. Es ist mir wichtig das Unbabsichtigte, Zufällige, das Unpassende sichtbar zu erhalten. Flecken und Fragmente. Sie alle werden so lang überlagert, bis sie sich dem Klischee entziehen, dafür nicht mehr brauchbar sind.

Pflanzen sind ein radikales Gegenüber begleiten meine Malerei im Garten, im Studio, als Motiv. Ich bin radikal im ursprünglichsten Sinn des Wortes, radicalis, eingewurzelt, verwurzelt, der Erde verbunden. Das Radikale ist eine Form der Verbundenheit. Die Magie der Kindheitsperspektive, die malerische Qualität von Mustern auf Wänden, Böschungen, die Wände von Vegetation vor einem aufbauen, die Nähe zum Boden.

Interview with Michela Codutti

Interview with Michela Codutti

Art is the most important form of communication. Especially all forms of visual art, not just “high art”, but every form of visible creation, whether it is painting, sculpture, architecture or one of the so-called folk or applied arts.

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Einladung zur Ausstellung

Einladung zur Ausstellung

Die Natur, trotz ihrer evolutionären Veränderung von unveränderlichen Gesetzen beherrscht, als verlässliches und manchmal auch unberührtes Gegenüber des Menschen gibt es nicht mehr. Hat es sie je gegeben?

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