Just a collection of girls with baskets on their heads, with crowns and headbands.
Baskets, Crowns And Headbands
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Gaia
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Überlegungen zu Bruno Latours “Kampf um Gaia”
Hier, im Süden Spaniens, ist das Anthropozän Alltag, offensichtlich, unausweichlich und erschütternd. Ein paar Kilometer von hier, in Sichtweite, beginnt das ‘mar de plastico’, für das die ehemals pittoreske Hügellandschaft niedergewalzt wurde, draußen im Meer Fischfarmen, dazwischen die Ruinen geplatzter Bauunternehmungen. Vor ein paar Wochen hat das Sturmtief Gloria die spanische Küste getroffen und für ein paar Stunden Schnee bis in den Nachbarort gebracht, heute verteilt ein warmer, böiger Südwestwind roten Sand aus der Sahara. Erst vor einer Woche, beim Kaffeetrinken am Strand von Villaricos, habe ich von den Atombomben gehört, die hier 1966 nach einem Flugzeugabsturz ein halbes Kilo Plutonium in der Gegend verloren.
Während all das auf mich einwirkt lese ich Bruno Latours neues Buch “Kampf um Gaia”, hervorgegangen aus acht Vorträgen, die er schon 2013 an der Universität von Edinburgh gehalten hatte. Die Lektüre fesselt und überrascht mich. Ganz langsam baut Latour Brücken zwischen den Disziplinen der Wissenschaft, Religion und Politik, zeigt verborgene Verbindungen und Denkverbote auf, die vieles an unserer verworrenen Situation erklären. Das dualistische Denken kann die Welt nicht mehr begreifen, was unser gesamtes Handeln und Denken in Frage stellt. Die opportunen Begriffspaare von Natur und Kultur, Mensch und Tier, gewachsen und gemacht, ewig und vergänglich und viele mehr enthüllen ihre Gemengelage. Die Natur, verlässlich, unveränderlich und manchmal auch unberührt, gibt es nicht mehr. Hat es sie je gegeben? Die ökologische Krise ist nicht nur eine Krise der Natur, sie ist in gleichem Ausmaß eine Krise der Kultur. Es gibt keine Natur, die der Menschenwelt gegenübersteht. Diese ununterscheidbare Vermischung von Natur und Kultur, von natürlich und künstlich zu hybriden Objekten beschäftigt mich seit Jahren. Wir leben inmitten eines komplizierten Netzwerkes aus zahllosen Dingen und Lebewesen, in dem jeder alle anderen beeinflusst. Damit ändert sich alles.
Und dann schreibt Latour das Unglaubliche:
In einer Welt, in der noch darüber diskutiert wird, ob Tiere und Pflanzen so etwas wie Bewusstsein haben, ja Tieren nicht einmal Emotionen zugeschrieben werden, da spricht jemand von Seele. Das erfordert Mut. Die Kritiker stehen schon bereit zum Angriff: “Weitschweifig”, “nicht sonderlich originell”, aber gleichzeitig “weit hergeholt” (Eckart Löhr) und “eleganter Unsinn” lese ich da, oder “schade um die Bäume” (Marko Martin). Doch keine der Kritiken, gleichgültig ob negativ oder positiv, erwähnt den Begriff der Seele. Als wäre es unmöglich von der Seele zu sprechen - doch während ich noch über den Umgang damit nachdenke, wird mir klar, dass der blinde Fleck wohl zentral ist. Und mich in Folge noch weiter beschäftigen wird.
Latour stellt in seinem Text viele Fragen. Fragen, die mir vertraut erscheinen, und doch noch nicht beantwortet sind. Fragen, die sich in meinem Kopf festsetzen, die ich wiederhole, immer wieder und wieder, während ich durch die Landschaft gehe, auf das Meer schaue, während ich male. Sie werden zur Basis meiner Arbeiten.
Gaia tritt auf, zugleich antike Göttin, literarische Figur, wissenschaftliche Hypothese, Körper und Tatsache. Noch habe ich das James Lovelocks Gaiatheorie nicht gelesen, folge also den Beschreibungen von Latour, der sich damit noch tiefer in die mit Bann belegten Themen wagt. Schon in den den 1960er Jahren fragt Lovelock, woran man Leben erkennt, was den Zustand des Lebens von dem des Todes unterscheidet. Und erkennt, dass das Thema zu den wissenschaftlich kaum erforschten gehört. In den meisten Fällen erkennen Menschen unmittelbar, ob etwas am Leben ist oder nicht. Ist es also gar kein Thema? In der Kunst ist es das: Die Versuche Leben täuschend echt darzustellen oder die Grenze von Nachahmung zur Belebtheit zu überschreiten gehören zu den beliebtesten Mythen künstlerischer Meisterschaft. Wenn es so leicht fällt, lebendige Wesen zu erkennen, warum also ist es in Sachen der Erde mit einem Tabu belegt?
Verwirrung. Zu viele Stimmen, alle gleichzeitig, gleichberechtigt, gleich laut. Leben heißt im Ungleichgewicht zu sein, in Bewegung, Unruhe, Unordnung, die aufrecht erhalten wird. Während ich schreibe macht sich der Frühling bemerkbar. Es hat mehr geregnet als in den letzten Jahren und die Hügel leuchten grün, bunte Blumen überall. Draußen am Meer kann ich Delphine sehen. Sind sie ein Zeichen für die Gesundheit des Meers oder werden sie von der Fischfarm angezogen? Kann der Mensch die Zeichen noch deuten?
Das Stabile, Selbstverständliche, immer und ewig Verfügbare, ist, wissenschaftlich betrachtet, ein Ungleichgewicht. Die Luft, die wir atmen, dürfte gar nicht da sein. Seit Jahrtausenden liegt der Sauerstoffgehalt bei stabilen aber unwahrscheinlichen 21 Prozent. Schon geringe Schwankungen machen das Leben schwer, wie aber kann es sein, dass diese nicht auftreten? Für Lovelock ist dieses Ungleichgewicht ein eindeutiges Zeichen von Leben, von belebtem Eingreifen. Die Atmosphäre der Erde wird gemacht und erhalten, und sind Teil dieses Systems, Teil von Gaia.
Die Arbeit am Text, an den Bildern wird zum Tagebuch einer eskalierenden Situation. Krankheit, Tod, Ausgangssperren. Der Coronavirus enthüllt eine Welt zwischen Schockstarre und Panik. Ich bin gestrandet. Die Worte Latour, die ich seit Wochen umkreise, gewinnen erschreckende Aktualität.