Interview with Michela Codutti

Wie von der Erde sprechen - Malen in Zeiten der Krise

Interview with Michela Codutti

Was ist Kunst für dich?

Kunst ist die wichtigste Form der Kommunikation. Vor allem alle denkbaren Formen bildender Kunst, nicht nur die "hohe Kunst", sondern jede Form des sichtbaren Schaffens, sei es Malerei, Bildhauerei, Architektur oder eine der sogenannten Volks- oder angewandten Künste. Was wüssten wir über die Welt ohne Kunst? Die Schicht der Information, die in schriftlicher Form übermittelt wird, ist sehr dünn und brüchig. Kunst wird auf einer viel breiteren Basis verstanden und führt in das Zentrum dessen, was den Menschen ausmacht. In ihrer Vielfalt hat die Kunst die Kraft, Menschen über die Zeit hinweg zu verbinden, Botschaften in eine ferne Zukunft zu senden und aus einer fernen Vergangenheit zu empfangen.

Das Jerusalem Museum beherbergt eine winzige Figurine aus Berekhat Ram, die kaum von einem normalen Kieselstein zu unterscheiden ist. Diese Figur wird auf ein Alter von 233.000 Jahren geschätzt. Ihre Schöpfer gehörten zu einer heute ausgestorbenen Menschenart, die dem modernen Menschen vorausging. Als ich diese kleine Figur betrachtete, war ich überwältigt von der Vorstellung, dass irgendeine Art von Mensch in 233.000 Jahren meine Kunst betrachten könnte.

Kannst du eine Definition für deine Kunst geben?

Malerei und Pflanzen stehen im Mittelpunkt meiner künstlerischen Arbeit. Jedes Bild ist ein Garten, jeder Garten ist ein Bild. In den letzten Jahren habe ich mich auf die Erforschung natürlicher Strukturen wie Dickichte, Böschungen oder überwachsene Hänge konzentriert. Jedes Projekt besteht aus einer Serie von Arbeiten auf Papier und Leinwand mit einer bestimmten Inspiration. Meine Bilder bauen sich Schicht für Schicht auf, und da ich an vielen Stücken gleichzeitig arbeite, kann das Jahre dauern. Neue Arbeiten beginnen meist zufällig: einige Farbflächen, Muster, Überlagerungen. Kompositionen werden durch sich überlagernde Farbschichten mit Hilfe von Schablonen und historischen Musterwalzen aufgebaut, die ich in den letzten zwanzig Jahren gesammelt habe. Mit der Zeit verschränken sich die Schichten und bestimmte Atmosphären werden wahrnehmbar. Es ist mir wichtig, das Zufällige, Ungewollte und Unpassende sichtbar zu halten, wie Flecken und graffitiartige Fragmente, Überbleibsel und verirrte Linien. Zusammen evozieren diese Strukturen mehrdeutige Landschaften, die mich interessieren, vertraut und fremd zugleich. Ich betrachte meine Bilder als etwas, das mit der Zeit wächst und sich entwickelt und sich langsam offenbart. Indem ich visuell dichte Situationen schaffe, in die man sich fallen lassen kann, wenn auch nur visuell, versuche ich, die Zone der chaotischen, unordentlichen und unendlichen Schönheit zu erweitern.

Was inspiriert deine Kunstwerke und warum?

Im Laufe meiner Karriere habe ich meine Liebe zu Mustern mit einem tiefen Interesse an Landschaften und Pflanzen vermischt. Das prägt meine Arbeit im Atelier, im Garten und in Form von hortikulturellen Installationen. Ich bin radikal im ursprünglichsten Sinne des Wortes "radicalis", was verwurzelt, mit der Erde verbunden, mit Pflanzen auf Augenhöhe bedeutet. Das Radikale ist hier eine Form der Erdverbundenheit.

In meinen Arbeiten verbinde ich Forschungen in Bereichen wie Mythologie, Feminismus oder Ökologie mit Individualität, Emotion und Schönheit. Wörter und Muster in meinen Bildern setzen auf Wiederholungen wie Zaubersprüche. Aber Muster sind nicht nur langweilige und dekorative Wiederholungen, sie sind Rhythmen, die auf dem Abstand zwischen den Dingen basieren, so dass sie uns erlauben, zwischen den Dingen zu sehen und den Raum, die Leere zu visualisieren. Muster verbinden Mathematik und Handarbeit, die Liebe zu Schnörkeln und Punkten, Streifen und extravaganten Blumen.

Die ersten Musterrollen kaufte ich auf einem Flohmarkt, als ich noch an der Angewandten studierte, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie man sie nutzen könnte, schon gar nicht künstlerisch. Nach vielen gescheiterten Versuchen fielen mir eines Tages die Farbspuren auf dem Tisch auf, sich überlagernde Schichten, die sich gegenseitig aufheben und ergänzen; tiefe, undurchsichtige Farbräume: das war's. Ich sah das Bild. Dann sammelte ich mehr und mehr Musterwalzen, ich habe sie nie gezählt. Jede neue Walze bietet ein ganzes Universum an Möglichkeiten, die es zu erforschen gilt. Ich bin immer noch fasziniert von den unsauberen Wiederholungen, dem fehlerhaften Rapport und dem Reichtum der Quetschspuren.

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Michela Codutti ist Innenarchitektin, Ausstellungsdesignerin und Talentscout. Als Gründerin von euroinnovators arbeitet Michela Codutti international mit Profis zusammen, um neue Möglichkeiten für die Sichtbarkeit von Künstlern und Designern zu schaffen, findet Sponsoren, plant Geschäftsstrategien, Veranstaltungen und Messeauftritte.

www.euroinnovators.org