Vielleicht hilft eine Beschreibung des Gartens anhand dessen, was Derrida über das Gedicht sagt, vermittelt durch Andreas Weber: „Niemals erschließt es sich in Gänze, immer bleibt es ein Stück weit unzugänglich, immer droht es sein Gegenüber zu enttäuschen, weil die Bindung an ein lebendes Wesen, an ein schöpferisches Stück Wirklichkeit eben zugleich immer eine Trennung ist.“ Welche Beziehung habe ich nun zu einem Ort? Seit langer Zeit begreift der Mensch sein Verhältnis zur Natur als getrennt, feindselig und geprägt vom Kampf ums Überleben. Das landläufige Naturbild scheint einem Zombifilm entsprungen: Nicht wirklich tot oder lebendig, keinesfalls fühlend, kann man sie niederwalzen oder ein paar Arme abhacken, ohne zu irgendeiner Rücksicht verpflichtet zu sein. Die Figur des Gärtners ist belastet mit Herrschafts- und Allmachtsphantasien, eine Projektionsfläche für jene, die die Erde nach ihrem Gutdünken verändern wollen, in militärischen Formationen, ob es nun Reihe von Fichten oder Kohlköpfe sind. Formschnitt und Spalier, dazu perfekter Rasen. Das unerbittliche Streben nach Rationalisierung hat zu einem Verlust der Weltbeziehungen geführt. Was früher Lebendiges verzehrt hat, ob am Schlachtfeld oder in Fabriken, nährt sich nun von Erdöl und Kohle.
Ich gehe durch den morgenfrischen Garten und frage die Pflanzen. Oh ja, auch wir sind entwurzelt, zusammengewürfelt irgendwo, zum Verkauf, zu Diensten, disponibel. Doch wir verwurzeln uns, wo immer möglich, finden Gesellschaft in denen, die da sind, neue, schwierige Gesellschaften. Der Kapitalismus hat alle entwurzelt und durcheinander gewirbelt, dem Boden, auf dem Pflanze, Tiere und Menschen hier leben sind wir alle fremd, selbst die Erde, die zurechtgeschaufelt und aufgeschüttet wurde. Sogar die Steine sind mobil gemacht worden. Wie steht es um die Vögel im Hinterhof? Um Brombeeren und Schmetterlingssträucher, die entlang Baches wuchern; die Götterbäume, die an jeder Ecke aus den Fugen wachsen? Was ist mit all jenen Wesen, die als invasive Schädlinge bezeichnet werden; was ist das begrünte Dach oder der Mittelstreifen der Autobahn? Ist Wildnis der alte Obstgarten, der mitten im Amazonasgebiet liegt oder der Avocadobaum, der im Komposthaufen sprießt? Paradiesvögel überall.
Jetzt sind wir alle hier, kümmert es, woher wir kommen? Gibt es globale Aufzeichnungen der Wege, die Generation gegangen sind, der Umwege und falschen Abzweigungen, die uns nun hierher gebracht haben, und nun Teile einer kapitalistische Wildnis bilden? In dieser unglaublichen, umfassenden Umwälzung der Materie, die der Kapitalismus seit Jahrhunderten betreibt, wo hat noch jedes Ding seinen Platz? Ich bin Stein, doch dieser Stein lag tausende von Jahren in Spanien, in Italien, in Südamerika. Der Baum ist Wasser, das immer schon um die Welt gereist ist. Versorgt es den Baum mit Nachrichten aus den Tiefen der Meere und den Höhen der Gletscher? Ich suche nach der Verbindung zur Erde, und weiß gar nicht so genau, zu welcher Erde. Hier, im Garten, hier ist noch Erde, in den Städten gibt es sie kaum mehr. Aber da ist Material, Materie, all das Zeug, aus dem ich, Häuser, Bäume, Straßen und Gänseblümchen sind. Mater, die Mutter, Erde. Immer stärker habe ich ein Bild vor Augen, als würde ich durch mich hindurch sehen, da ist eine Wurzel, die in die Erde reicht, wie ein Anker, ein einzelner Trieb, der bereit ist, Halt zu finden. Man sagt, die Schwäche der Pflanzen wäre ihre Unbeweglichkeit. Vielleicht ist es ihre Stärke.
Die Balance im Garten ist fragil. Ich sehe mich nicht als Diktator, wo ich es versuche, lacht mich der Garten aus und macht etwas anderes. Ist es mein Garten? Das Verhältnis hat sich verändert, jetzt ist dieser Ort so mein Garten, wie es meine Hand ist. Auf Zeit, immer veränderlich, meiner Verantwortung und meinem Schmerz überlassen. Weiter mit Andreas Weber: „Allein der Unfall, wie Derrida sagt, die Berührung-als-Verformung, bringt in Verbindung mit der Wirklichkeit. Sie ist immer zugleich eine Erfahrung des Gewichts der Welt und eine Erfahrung des Selbst und die Erfahrung einer Metamorphose des einen im anderen, mit offenem Ende. Berührung durch den anderen ist die Erfahrung einer Selbstvergewisserung und die Erfahrung einer Verwundung zugleich.“ Wir formen einander: Nicht nur die großen Eingriffe, sondern eben vor allem die kleinen, der morgendliche Weg zum Gemüsegarten, wenn Gras und Füße einander berühren, das Erstaunen über Wachstum und Verfall, ein Blumenstrauss ab und zu. Was kann ich für den Garten tun? Kann ich überhaupt etwas tun, oder zerstört jeder Handgriff ein Gleichgewicht, das ich zu wenig kenne, aber umso leichter kaputt machen kann? Im Zentrum des anderen Gartens steht eine Beziehung auf Augenhöhe, kein Generalplan. Ist ein neuer Begriff für unsere Existenz mit Pflanzen, Tieren, dem Boden und der Luft nötig? Wir leben zusammen in einer Art universeller Wohngemeinschaft. Kon-Habitat, im Garten, auf der Erde. Und wer schon jemals in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, weiß genau wie viel Rücksicht und Geduld dieses Zusammenleben erfordert - von allen Beteiligten. Natur und Mensch sind nicht getrennt, sondern durch Aufmerksamkeit verbunden. Vielleicht auch durch pflegende Aufmerksamkeit und, wieder mit Lucius Burckhardt, den kleinstmöglichen Eingriff. Nehmen wir den Menschen zurück in die Natur, in einem gleichberechtigten Verhältnis, wo der Mensch die Natur braucht und die Natur den Menschen braucht, dann hören wir auf Störfälle zu sein. Das heißt die Verantwortung teilen, verhandeln, für jedes Nehmen muss ein Geben den Ausgleich schaffen. Hier bringe ich den Begriff der Konjunktur wieder in die Verhandlung, ein Wort, dass den Sprung aus der Astrologie in die Wirtschaftswissenschaft mühelos bewältigt hat. Ursprünglich Verbindung, Zusammenhang und sogar Zusammenschein von Sternen, beschreibt es nun zyklisch angenommene Veränderungen der Wirtschaftslage. Und wenn Konjunktur, als Kennzahl neu interpretiert, den Grad der Verbundenheit der Wesen anzeigen würde? Wie nahe wären wir dem Desaster, des-aster, dessen etymologische Wurzel sich in der Trennung von den Sternen, griechisch „aster“ findet. Auch hier geht es wieder um Beziehungen.