Delphi

Notizen, Überlegungen, Beobachtungen und Versuche zur Geschichte der Daphne

Mischtechnik auf Büttenpapier, DM 30cm, 2022

Es geht um die Geschichte von Daphne und Apoll, ihre bekannteste Version erzählt Ovid in seinen Metamorphosen, doch es gibt noch zahlreiche weitere antike Quellen und Versionen. Im Zentrum der Erzählung steht meist die unglückliche, weil unerwiderte Liebe des Gottes Apoll zur Nymphe Daphne, die sich einer Vergewaltigung nur durch ihre Verwandlung in einen Lorbeerbaum entziehen kann. Die Schuld dafür gibt Ovid dem Eros, dargestellt als zorniges Kind, das seine Macht demonstrieren will. Doch handelt es sich wirklich nur um ein unglückliches Zusammentreffen, das der Liebe der beiden im Weg steht?

In der Serie von Arbeiten “How to Become a Tree (Daphne)” gehe ich dieser Frage nach, versuche die Liebesgeschichte zu dekonstruieren und Fragen und Alternativen zu bieten. Ist Liebe nicht oft nur eine beschönigende Formulierung um die Macht zu übernehmen?

#Eine junge Frau namens Daphne

Wer war Daphne? Laut Ovid ist sie eine Nymphe, aus dem Gefolge der Artemis, anderen Quellen zufolge ist sie Priesterin im Heiligtum der Gaia in Delphi oder sogar selbst eine Göttin. In jedem Fall war sie eine junge Frau ohne Interesse an einer Ehe, die unter dem Druck einer zunehmend patriarchalen Gesellschaft geriet.

“Viele haben sich um sie bemüht, doch sie blieb abgeneigt, duldet die Bewerber nicht und durchstreift ohne einen Mann die abgelegenen Wälder; auch kümmert sie weder Ehe, noch Liebe, noch Beischlaf. Oft sagte ihr Vater: Du schuldest mir einen Schwiegersohn, Tochter; oft sprach er: Kind, du schuldest mir Enkel.

Jene aber, der die Hochzeitsfackeln verhasst wie ein Verbrechen waren, netzt die schönen Augen in Schamesröte, hängt sich mit schmeichelnden Armen an des Vaters Hals und spricht: Gewähre mir, allerliebster Vater, den Genuss ewiger Jungfräulichkeit, sie gewährte ihr Vater bereits der Artemis.”
— Ovid, Metamorphosen

#Ein junger Mann namens Apoll

Ein Usurpator, der vorgibt jene zu retten, die er doch eigentlich mit Gewalt erobert: Diese rhetorische Figur hat schon in der Antike funktioniert und tut es wohl noch immer. Apoll tötet die Schlange Python, die das Heiligtum der Erde in Delphi bewacht, weil sie (angeblich) die Bevölkerung terrorisiert, und macht sich selbst kurzerhand zum zentralen Gott und Besitzer des wichtigsten Orakels der Antike.

“Durch mich wird offenbar, was sein wird, was war und was ist.” — Ovid, Metamorphosen

Damit ist Apoll Herr der Geschichte, zeitgenössisch formuliert ein Medienmogul. Als Zeichen des Sieges trägt er einen Kranz aus Eichenlaub, jenem Baum, der seinem Vater heilig ist. Handelt er im Auftrag? Noch ist Gaia nicht vollständig besiegt.

#Besitz und Liebe

Denn da gibt es noch diese Frau, Daphne, die sich dem Regime nicht unterwerfen will, weder durch Schmeichelei noch durch Drohung umzustimmen ist. Und da ist der heilige Baum des Orakels, der Lorbeer, der vereinnahmt werden muss. Apoll will sie haben und verfolgt die Flüchtende bis zur Erschöpfung. Wäre sie nicht so schön, wer würde sie schon verfolgen?

Als talentierter Propagandist des Patriarchats gibt Ovid Daphnes Schönheit die Schuld an der Verfolgung. Sie hätte den Gott nicht mit ihren Reizen zu solcher Begierde reizen dürfen. Klingt bekannt, oder?

“Zerstöre die Gestalt, in der ich allzusehr Gefallen erregt habe, durch eine Verwandlung.
Kaum ist die Bitte ausgesprochen, befällt eine schwere Starre die Glieder, die weiche Brust wird von zartem Bast umschlungen, die Haare werden zu Laub, die Arme zu Zweigen, der eben noch so flinke Fuß bleibt in zähen Wurzeln stecken, das Gesicht trägt einen Baumwipfel: Es bleibt ihr als letzter Rest von Schönheit.”

— Ovid, Metamorphose

Daphne verwandelt sich in einen Lorbeerbaum. Das verhindert zwar den sexuellen Übergriff, nicht aber die totale Vereinnahmung durch Apoll:

“Der Gott sprach zu ihr: Auch wenn du nicht meine Geliebte sein kannst, so wirst du doch sicher mein Baum sein. Immer wird dich, Lorbeer, unser Haar tragen, unser Saitenspiel, unser Köcher. Du wirst bei den latinischen Heerführern sein, wenn eine frohe Stimme den Triumph besingt und die Tempel des Kapitols lange Festzüge sehen. An den heiligen Pforten wirst du ebenfalls als treueste Wächterin vor den Türen stehen und den Eichenkranz in der Mitte beschützen.”

— Ovid, Metamorphosen

Ein Streich von Eros, eine Parabel über die Macht der Liebe, oder doch, die Liebe zur Macht? Eine Geschichte kaschiert eine andere: Die Liebesgeschichte übertönt die Geschichte der Unterwerfung der Gaia, der gewaltsamen Übernahme der Ressourcen und ihrer Verfügbarmachung, bis zur Zerstörung: die fatale Niederlage der Erde. Wo Ovid endet, dort beginnen viele neue Erzählungen, Interpretationen und das Anthropozän.