Ein anderer Garten
Stephanie Guse, 2024
Hannah Stippl lebt in Wien. Interessanterweise habe ich sie aber kennengelernt, weil ich einen kleinen Ort namens Águilas am Mittelmeer gegoogelt habe, den ich seit meiner Kindheit selbst regelmäßig besuche. Ein Suchergebnis zu diesem Ort war die Homepage von Hannah, weil dort vermerkt wird, dass sie in Wien und Águilas lebt und arbeitet. Das machte mich neugierig, denn neben der Vorliebe für diese beiden Orte, sind wir beide Künstlerinnen und Philosophinnen, haben also einige Gemeinsamkeiten. Ich habe Kontakt aufgenommen und dann festgestellt, dass wir sogar künstlerisch ähnliche Ziele mit ganz unterschiedlichen Mitteln verfolgen. Und deshalb spreche ich heute sehr gern über die Bedeutung von Hannah Stippls Arbeit.
Der Titel der Ausstellung EIN ANDERER GARTEN verrät uns, dass wir hier in einen Garten blicken, der verspricht anders zu sein als der, den wir gemeinhin kennen. Das ist zunächst offensichtlich, denn diese Bilder sind Kunst und keine lebendigen Orte, die wir betreten können. Doch was für ein Garten ist gemeint? Um das herauszufinden, schauen wir in die Ausstellung. Und dabei fallen uns in Hannah Stippls Bildern drei Ebenen auf:
ein freies malerisches Dickicht als unterste Schicht
die Schicht der definierten Wiederholung, die durch Musterwalzen entsteht
eine schriftliche Botschaft
Diese drei Schichten wirken zusammen. Und um dieses Zusammenwirken und die Botschaft dieser Bilder zu verstehen, macht es Sinn, Hannah Stippl genauer vorzustellen: Zunächst einmal ist sie geprägt von den niederösterreichischen Gärten ihrer Kindheit. Diese Gärten waren eine Mischung aus kultiviertem Grund und Wildwuchs in der Nähe zu offenen Feldern. Die Erfahrung von pflanzlicher Verwurzelung, Ernte, Freiheit und gleichzeitiger Begrenzung durch einen Bach oder Bahndamm prägt ihr Weltbild. Sie hat nicht nur Malerei, sondern auch Philosophie, Kuration und Kunstgeschichte studiert.
Das Machen und Reflexion greifen dementsprechend bei ihr stark ineinander, was sich nicht nur in ihren Bildern, sondern in ihrem künstlerischen Universum und Lebensstil zeigt, der wie ihre Kunst vielschichtig ist: Sie pendelt zwischen drei Orten:
ihrem Wiener Werkstattatelier
dem österreichischen Landleben
ihrem Atelier in Águilas, das innerhalb eines sogenannten Climate Change Hotspot liegt und damit sehr fühlbar vom Klimawandel bedroht ist.
Hannah wechselt ständig zwischen diesen unterschiedlichen Klimata und auch das beeinflusst ihre Kunst. Speziell ihr Wiener Atelier funktioniert wiederum auch auf mehreren Ebenen: Hier hat sie einen Ausstellungsraum namens puuul etabliert, in dem sie
Ausstellungen anderer KünstlerInnen kuratiert und zeigt,
Workshops dazu initiiert
und ihre Kunstbibliothek dem Publikum zur Verfügung stellt.
Hannah kultiviert hier einen speziellen Austausch der Wiener Kunstszene, der zwar öffentlich, aber gleichzeitig sehr persönlich ist. Ausserdem ist Hannah Stippl eine reflektierte Beobachterin unserer Zeit und Gesellschaft. In ihren philosophischen Texten über ihre Arbeit knüpft sie an DenkerInnen wie Lucius Burckhardt, Bruno Latour oder Donna Haraway an. Ihre Philosophie stellt Verbindungen zu Mythen und der Vergangenheit her, um die Gegenwart, sich selbst und unsere Gesellschaft besser zu verstehen. Dabei steht das Verhältnis von Gesellschaft und Natur im Vordergrund. Und damit wenden wir uns wieder Hannahs Bildern und deren 3-Schichtigkeit zu:
Die hintere Schicht erinnert an einen Dschungel, also definitiv keinen kultivierten Garten. Und es ist nicht möglich, zu sehen, wohin es geht. Es gibt keinen Ausblick und das sind wir nicht gewohnt, denn im Normalfall möchten wir sehen, wohin es geht. Wir haben uns daran gewöhnt uns abzusichern. Wir definieren Wege genau, bevor wir sie gehen: unsere Schullaufbahn, Ausbildung, Karriere, Familienplanung und Reisen. Der Sprung ins Ungewisse und Abenteuer sind selten geworden. Deshalb: Undurchsichtigkeit und Ungewissheit können sogar beängstigend sein, denn Risiken und Neuland werden gern gemieden. Obwohl hier ja auch Chancen liegen: Alles, was sich entwickeln könnte ist gemeint. Das Ungeplante, das Einmalige und das Erfinderische. Das ANDERE eben, und DAS stellt sie zur Diskussion. In der 2. Ebene können wir uns leichter orientieren. Die Pflanzenformen der Musterwalzen sind uns bekannt. Und Mustererkennung ist ein allgemeines Prinzip der Forschung, um Rückschlüsse auf Wahrheiten zum Beispiel in der Naturwissenschaft zu ziehen. Damit öffnet die Künstlerin uns eine Tür aus unserer Welt der Erkenntnisse und Klarheit in die dahinterliegende Welt der Möglichkeiten. Welche Möglichkeiten könnten das sein? Die Antwort darauf liefert uns schließlich die 3. Ebene. Hier wird es konkret: Die schriftlichen Botschaften sind mantraartigen Aufforderungen wie reCOMPOSE, reMOTHER und reENCOUNTER. Die Vorsilbe re fordert auf zum Besinnen, zum back to the roots. Und Hannah selbst schreibt:
“Ist ein neuer Begriff für unsere Existenz mit Pflanzen, Tieren, dem Boden und der Luft nötig? Wir leben zusammen in einer Art universeller Wohngemeinschaft. Kon-Habitat, im Garten, auf der Erde. Und wer schon jemals in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, weiß genau wie viel Rücksicht und Geduld dieses Zusammenleben erfordert - von allen Beteiligten.”
Auch schreibt sie:
“Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen den Wesen, Mensch und Pflanze und Wasser und Tier und Stein, die einander brauchen, verändern und unterstützen. Eine lebendige Verbindung, die durch gegenseitige Aufmerksamkeit aufrechterhalten wird. Ohne diesen Austausch ist das Leben nicht möglich, je reicher er ist, desto besser ist die Konjunktur des Lebens.”
Wir erkennen, dass die Bilder dieser Ausstellung gleichermaßen aus einer persönlichen Perspektive als auch einem intensiven Austausch mit der Entwicklung der Welt und der Gesellschaft entstanden sind. Und wir fragen uns, was können diese Werke für uns bewirken? Auch hier ist Vielschichtigkeit das Prinzip:
Auf einer 1. Ebene sind sie als Ode an die Natur und das Leben zu verstehen. Die Bilder besingen sie unsere Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit, Echtheit und Erlebnis, speziell in einer Zeit, in der wir uns oftmals eher im digitalen Dickicht unserer Arbeitsplätze, und Social Media verlieren. Für diese Interpretation spricht die aufregende Ästhetik der Bilder. Wie in der Klimtschen Mosaikhaftigkeit findet der Betrachter Befriedigung im Zusammenspiel der Details, dem Konkreten, geordneten und dem wild Malerischen. Darüber hinaus sind sie aber auch als Provokation zu verstehen. Als ein Aufruf zum Denken und Handeln. Hannah Stippl fordert ein: Es geht auch anders! Und sie bewegt sich damit stark im Zeitgeist, denn viele KünstlerInnen erproben derzeit, wie Kunst zu den großen Fragen, wie dem Klimawandel oder Entfremdung, beitragen kann. Sie mischen sich ein, sie zeigen Probleme auf und fordern ein Umdenken. Dies ist nicht gänzlich neu, denn seit den Anfängen der Menschheit thematisiert die Kunst die grundlegenden Fragen: Leben und Sterben, Familie und Gesellschaft, Umwelt und Mensch. Deshalb verwundert es also auch nicht, dass Hannah Stippl, jetzt, wo die Gesellschaft um das Überleben, speziell in Bezug auf die Beziehung von Menschen und Natur, ringt, ihre Bilder als Aufforderung in den Raum stellt. Und wir fangen an, nachzudenken: Was war wichtig und hat uns glücklich gemacht, als wir Kinder im Garten unserer Eltern und Großeltern waren? Ob es etwas gibt, das wir damals wussten, und das verdrängt wurde unserer alltäglichen, persönlichen Ziele wegen? Und ganz gross gedacht: Welches Wissen schließen wir aus dem akademischen Betrieb der nördlichen Halbkugel aus? Mittlerweile haben wir erkannt, dass beispielsweise die Klimakrise nicht ein ausschließlich naturwissenschaftliches Phänomen ist, das durch CO2 Werte und Temperaturen definiert wird. Sondern, dass diese Krise auch davon abhängt, was wir über die Welt denken, welche Werte wir schätzen. Die Frage ist also, so wie Hannah Stippl formuliert: wo liegt unsere Aufmerksamkeit? Es macht demnach zutiefst Sinn, Bilder herzustellen, die unser Denken und Handeln inspirieren.
A Different Garden
Stephanie Guse, 2024
Hannah Stippl lives in Vienna. Interestingly, however, I got to know her because I googled a small town called Águilas on the Mediterranean, which I have been visiting regularly since I was a child. One search result for this place was Hannah's homepage, because it says that she lives and works in Vienna and Águilas. That made me curious, because apart from our fondness for these two places, we are both artists and philosophers, so we have a few things in common. I got in touch and then realised that we even pursue similar artistic goals with very different means. And that's why I'm very happy to talk about the significance of Hannah Stippl's work today.
The title of the exhibition EIN ANDERER GARTEN tells us that we are looking into a garden that promises to be different from the one we are generally familiar with. This is obvious at first, because these pictures are art and not living places that we can enter. But what kind of garden is meant? To find out, let's take a look at the exhibition. And we notice three levels in Hannah Stippl's pictures:
a free, painterly thicket as the lowest layer
the layer of defined repetition created by pattern rolling
a written message
These three layers work together. And in order to understand this interaction and the message of these pictures, it makes sense to introduce Hannah Stippl in more detail: Firstly, she is characterised by the Lower Austrian gardens of her childhood. These gardens were a mixture of cultivated ground and wild growth close to open fields. The experience of plant rootedness, harvest, freedom and simultaneous limitation by a stream or railway embankment characterises her view of the world. She has not only studied painting, but also philosophy, curation and art history.
Accordingly, making and reflection are strongly intertwined in her work, which is reflected not only in her paintings, but also in her artistic universe and lifestyle, which, like her art, is multi-layered: she commutes between three places:
her workshop studio in Vienna
the Austrian countryside
her studio in Águilas, which is located within a so-called climate change hotspot and is therefore very tangibly threatened by climate change.
Hannah is constantly switching between these different climates and this also influences her art. Her Vienna studio in particular also functions on several levels: Here, she has established an exhibition space called puuul, where she curates
curates and shows exhibitions by other artists,
initiates workshops and
and makes her art library available to the public.
Hannah cultivates a special exchange within the Viennese art scene that is public but at the same time very personal. Hannah Stippl is also a reflective observer of our time and society. In her philosophical texts about her work, she draws on thinkers such as Lucius Burckhardt, Bruno Latour and Donna Haraway. Her philosophy makes connections to myths and the past in order to better understand the present, herself and our society. The relationship between society and nature takes centre stage. And this brings us back to Hannah's images and their three layers:
The back layer is reminiscent of a jungle, so definitely not a cultivated garden. And it's not possible to see where it's going. There is no view and we are not used to that, because normally we want to see where we are going. We have become accustomed to securing ourselves. We define paths precisely before we take them: our school career, training, career, family planning and travelling. The leap into the unknown and adventure have become rare. Therefore, opacity and uncertainty can even be frightening, as risks and uncharted territory are often avoided. Although there are also opportunities here: Everything that could develop is meant. The unplanned, the unique and the inventive. The OTHER, and THAT is what she puts up for discussion. We can orientate ourselves more easily on the 2nd level. We are familiar with the plant shapes of the pattern rollers. And pattern recognition is a general principle of research in order to draw conclusions about truths, for example in the natural sciences. In this way, the artist opens a door from our world of knowledge and clarity into the world of possibilities that lies beyond. What possibilities could these be? The answer is finally provided by the 3rd level. Here it becomes concrete: the written messages are mantra-like invitations such as reCOMPOSE, reMOTHER and reENCOUNTER. The prefix re invites us to reflect, to go back to the roots. And Hannah herself writes:
‘Is a new concept needed for our existence with plants, animals, the soil and the air? We live together in a kind of universal community. Kon-Habitat, in the garden, on the earth. And anyone who has ever lived in a shared apartment knows exactly how much consideration and patience this coexistence requires - from everyone involved.’
She also writes:
‘There is a deep connection between beings, human and plant and water and animal and stone, that need, change and support each other. A living connection that is maintained through mutual attention. Without this exchange, life is not possible, the richer it is, the better the conjuncture of life.’
We recognise that the images in this exhibition are the result of both a personal perspective and an intensive exchange with the development of the world and society. And we ask ourselves, what can these works do for us? Here too, complexity is the principle:
On a first level, they are to be understood as an ode to nature and life. The images sing of our longing for meaningfulness, authenticity and experience, especially at a time when we often tend to lose ourselves in the digital jungle of our workplaces and social media. The exciting aesthetics of the images speak in favour of this interpretation. As in Klimt's mosaic, the viewer finds satisfaction in the interplay of details, the concrete, the organised and the wildly painterly. But they are also to be understood as a provocation. As a call to thought and action. Hannah Stippl demands: There is another way! And she is very much in tune with the spirit of the times, as many artists are currently exploring how art can contribute to major issues such as climate change and alienation. They are getting involved, highlighting problems and calling for a rethink. This is not entirely new, as art has been addressing fundamental issues since the dawn of humanity: Life and death, family and society, environment and people. So it's not surprising that Hannah Stippl puts her pictures in the room as a challenge, now that society is struggling to survive, especially in relation to the relationship between people and nature. And we start to think: what was important and made us happy when we were children in our parents‘ and grandparents’ garden? Is there something we knew back then that was suppressed because of our everyday, personal goals? And thinking big: what knowledge do we exclude from the academic world in the northern hemisphere? We have now realised, for example, that the climate crisis is not an exclusively scientific phenomenon defined by CO2 levels and temperatures. Instead, this crisis also depends on what we think about the world, what values we value. So the question, as Hannah Stippl puts it, is: where do we focus our attention? It therefore makes profound sense to create images that inspire our thoughts and actions.