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Das Ende der Malerei ist nicht in Sicht

Berthold Ecker, Museum auf Abruf Wien, 2001

Besonders im 20. Jahrhundert, aber auch schon zuvor befanden es avantgardistische Künstler und Kunstwissenschaftler für chic vom Ende oder vom Tod der Malerei zu berichten. Ihre künstlerische und gesellschaftliche Funktion schien immer wieder einmal abhanden gekommen sein, und diverse Sinnkrisen folgten einander in sich wandelnder Gestalt. Ebenso wenig wie die Fotografie im 19. Jahrhundert die herkömmlichen Aufgaben der Malerei vollständig an sich riss und im Gegenteil zu einer Erweiterung der Möglichkeiten innerhalb der Kunst wie auch im Bereich der topographischen und personellen Dokumentation führte, konnte weder der Computer das Buch noch die Gentechnologie die Erotik in den Tod treiben.

Aus der Serie “Böschung”, 2001, Gouache & Öl auf Leinwand, 220 x 180 cm

Betrachtet man die Malerei als Grundform menschlicher Aktion und Artikulation, so kann man der Frage nach ihrem Ende nur mit Verwunderung begegnen. Keinesfalls sei aber bestritten, dass die Rolle der Malerei als Königsdisziplin der Kunst gerade im vergangenen Jahrhundert gelitten hat und das Medium selbst grundlegenden Änderungen unterworfen ist. Malerei ohne forcierte konzeptionelle Hinterlegung gerät umgehend in den Geruch eines naiven Ästhetizismus ohne jede künstlerische Relevanz. Andererseits musste mittlerweile das rigorose formalistische Denken, welches nicht zuletzt den Kategorisierungsversuchen der 50er und 60er Jahre entsprang und einem Ausspielen von gegenständlichen und abstrakten Sprachweisen der Malerei diente, aufgegeben werden, da sich die Künstler über diese künstlichen Grenzen hinwegzusetzen begannen. Der gegenwärtige Pluralismus trägt stark synthetische Züge indem er ehemals strikt getrennte Ansätze zu neuen Ergebnissen vereint.

Genau an dieser Schnittstelle verschiedener künstlerischer Wege hat auch Hannah Stippl ihre Arbeitsstätte aufgeschlagen. Zu ihren geistigen Vorfahren zählen die Vertreter des Abstrakten Expressionismus ebenso wie Minimal Art und Pattern Painting, ohne dass deren künstlerische Ansätze eins zu eins übernommen würden. Hannah Stippl wählt ganz unverkrampft aus deren Fundus, lässt sich durch die zugehörigen theoretischen Grundlagen nicht allzu sehr beengen und transformiert das Gefundene in neue Zusammenhänge. Sie selbst nennt besonders Agnes Martin und Christopher Wool als wichtige Anreger. Es ist bezeichnend, dass gerade Martin als Vertreterin einer in ihren Mitteln äußerst reduzierten Kunst aus dem Umfeld des Minimalismus und der nachmalerischen Abstraktion hier aufscheint. Abseits eines kühl kalkulierenden Puritanismus beeindruckt ihre zarte Farblyrik in Verbindung mit fernöstlicher Versenkung. Und auch Christopher Wool am Ende des Jahrhunderts führt mit seiner zunächst kalt anmutenden Verweigerungshaltung gegenüber der Malerei den Betrachter aufs Eis. Bei beiden ist mit Programmatik allein der tatsächliche Kern ihrer Kunst nicht zu erfassen. Besonders die Arbeit von Wool zeichnet sich durch ironische Distanz und Verschmitztheit aus, indem er sein Konzept kalkulierten Störungen unterzieht. Intellektuelles Kalkül in Verbindung mit starker Betonung von Individualität, Emotion und auch Sinnlichkeit des optisch Wahrnehmbaren sind bei beiden großen Vorbildern ebenso wichtig wie bei Hannah Stippl.

Aus der Serie “Böschung”, 2001, Gouache & Öl auf Leinwand, 80 x 80 cm

Ab 1998 begann die Arbeit mit den Malerwalzen, die erstmals im selben Jahr in der Galerie station3 in Wien zu sehen war. Die genannten Walzen sind Geräte, mit denen vereinzelt bis heute Muster auf die Wände von Stiegenhäusern und Wohnräumen gerollt werden. Die Arbeit mit diesem Instrument hat aber wenig mit nostalgisch verklärter Spurensicherung gemein. Es geht hier nicht um das Wiederauffinden des Verdeckten, Überlagerten und Gewesenen, sondern um das schichtenweise Aufbauen der Komposition durch Überlagerung. Nicht Rekonstruktion von Vergangenheit sondern Konstruktion einer irritierenden Gegenwart ist das Ziel. Das teilweise Verdecken und Überschneiden der Schichten ruft eine eminent räumliche Wirkung mancher Arbeiten hervor. Die einfache rationale Überlegung, ein vorgefundenes Muster indem es sich selbst überlagert auf die Fläche zu bringen wird von der Künstlerin – einer sehr feinsinnigen Intuition folgend – verwirklicht. Es entsteht ein enigmatisches Wechselspiel der Schichten im Ablauf der Zeit, welcher den Produktionsvorgang begleitet. Diese Symbiose zwischen konzeptionellem Ansatz und einer subjektiv emotionalen Komponente erscheint paradigmatisch für die Abstraktion an der Jahrtausendwende. Ein wesentliches Element dieser Position ist, wie dies vielfach in der gegenwärtigen Kunstszene beobachtet werden kann, ein ausgeprägter Hang zur Ironie. Sie liegt zum einen im Kokettieren des Kunstwerkes mit dem Status der Tapete, wobei der Wiederholung des formalen Musters die farbliche Einmaligkeit entgegenwirkt, wie sie durch den Farbwechsel bei den Überlagerungen entsteht. Einer näheren Betrachtung offenbart sich also das Fehlen des Rapports, und damit des wichtigsten Tapetencharakteristikums. Dieses Wechselspiel betreibt Hannah Stippl auch über die Wahl des Bildträgers. Einmal wählt sie Papier und fixiert es direkt an der Wand, dann wieder einen Holzkörper, der fast objektartig die Malschicht von der Wand distanziert und damit deutlich den Rang als Gemälde einfordert. Häufig wird in der diptychonartigen Kombination solcher Farbflächen ein gegenstandsfreier Teil einem solchen mit meist floralen Mustern gegenübergestellt und damit eine Spannung erzielt, mit der beispielsweise auch Hubert Scheibl in seinen mehrteiligen Leinwänden arbeitet.

In Hannah Stippls Konzeption übernimmt das Kolorit einen wichtigen Part. Die üppige Sinnlichkeit der Farbe erinnert zunächst an die expressive Tradition eines Gunther Damisch oder Wilhelm Seibetseder. Es zeigt sich aber, dass auch in diesem Bereich, bei aller intuitiver Vorgangsweise, das Kalkül und die Ratio wesentlich mitwirken. Es entstehen fast vibrierende Farbgeflechte mit sich ergebendem oder auch einprogrammiertem deja-vu Effekt. Beispielsweise finden sich in diesen Arbeiten Farbakkorde, die untrennbar mit der Identität der 50er oder 70er Jahre verbunden sind. Schon aus diesen knappen Vergleichen lässt sich erschließen, wie sehr Hannah Stippls Arbeit trotz ihrer rational-konzeptionellen Grundhaltung von Individualität und schöpferischer Intuition getragen ist. Eine dieser speziellen Gestaltungweise immanente Möglichkeit, die von der Künstlerin auch dezidiert geäußert wird, ist ihre Anwendung auf monumentale Formate, wobei ein architektonischer Zusammenhang gesucht wird. Einerseits sind die Walzenbilder von Hannah Stippl durchaus als selbstreferentielle Malerei zu sehen. Zweifellos thematisiert diese Malerei sich selbst indem das spezielle Verfahren des Pigmentauftrages im Zentrum des ganzen Produktes steht: Malerei als Nicht-Malerei, eigentlich gerollte Druckgraphik mit malerischem Ergebnis, zahlreiche Wiederholungen des Gleichen ohne dass es tatsächlich zum Rapport käme, betonte Fläche und doch beträchtliche Tiefe durch Überlagerung. Andererseits ist der gesellschaftliche Kontext unübersehbar. Die Tapetenimitation, das Muster an der gekalkten Wand, ein Symbol für bescheidene Verhältnisse, für vergangene Zeit und die inhaltliche Wandlung indem Tapeten Malerei nachzuahmen suchen sind gleichfalls konstitutionelle Bestandteile dieser Kunst. Hannah Stippl betreibt ein verschmitztes Spiel mit von der Kunstgeschichte bereits codierten Gestaltungsmöglichkeiten. Ihre in konsequenter Arbeit erreichte persönliche Synthese macht sie zu einer der interessantesten und vitalsten Vertreterinnen der neuen Malerei in Österreich. Angesichts einer solchen Malerei fällt es leicht zu sagen: das Ende der Malerei ist nicht in Sicht!


The End of Painting is not in Sight

Berthold Ecker, Musa Vienna, 2001

Especially in the 20th century, but also before that, avant-garde artists and art scholars found it chic to report on death of painting. Its artistic and social function seemed to have been lost time and again, and various crises of meaning followed one another in changing shapes. In the 19th century photography was also unable to completely seize the conventional tasks of painting and, on the contrary, led to an expansion of possibilities within art as well as in the area of topographical and personal documentation.

Painting is a basic form of human action and articulation, so how could it die? However, it is by no means denied that the role of painting as the supreme discipline of art has suffered in the last century and that the medium itself is subject to fundamental changes. Painting without a forced conceptual basis immediately falls into the reputation of naive aestheticism without any artistic relevance. On the other hand, the rigorous formalistic thinking, which arose not least from the attempts at categorization in the 50s and 60s and served to play out the representational and abstract language of painting, had to be given up because the artists began to disregard these artificial boundaries. The current pluralism has strongly synthetic features in that it combines previously strictly separate approaches to new results.

It is precisely at this intersection of different artistic paths that Hannah Stippl set up her place of work. Her intellectual ancestors include the representatives of Abstract Expressionism as well as Minimal Art and Pattern Painting, without their artistic approaches being adopted one-to-one. Hannah Stippl chooses from their pool in a relaxed manner, without getting constrained due to the associated theoretical principles and transforms what she finds into new contexts. She herself mentions Agnes Martin and Christopher Wool as important stimuli. It is significant that Martin in particular appears here as a representative of an art from the environment of minimalism and post-painting abstraction which is extremely reduced in its means. Aside from a cool, calculating puritanism, her delicate color poetry in connection with Far Eastern immersion is impressive. Christopher Wool also deceived the viewer with his seemingly cold reluctance to paint. In both cases, the actual core of their art cannot be grasped with the program alone. Wool's work in particular is characterized by ironic distance and mischievousness when he subjects his concept to calculated disturbances. Intellectual calculation in connection with a strong emphasis on individuality, emotion and also the sensuality of the visually perceptible are just as important for both great role models as for Hannah Stippl.

The work with pattern rollers began in 1998, which were first shown in the same year in the station3 gallery in Vienna. The rollers mentioned are devices that were used to roll patterns onto the walls of staircases and living rooms. However, working with this instrument has little in common with nostalgically transfigured forensic evidence. This is not about find the hidden, superimposed and what has been, but to build up the composition in layers by superimpositions. The aim is not to reconstruct the past but to construct an irritating presence. The partial covering and overlapping of the layers creates an eminently spatial effect in some works. The simple rational consideration of bringing a found pattern onto the surface by superimposing it on itself is realized by the artist - following a very sensitive intuition.

There is an enigmatic interplay of layers in the course of time, which accompanies the production process. This symbiosis between a conceptual approach and a subjectively emotional component appears paradigmatic for abstraction at the turn of the millennium. An essential element of this position, as can often be observed in the contemporary art scene, is a pronounced tendency towards irony. On the one hand, it lies in the coquetting of the work of art with the status of the wallpaper, whereby the repetition of the formal pattern counteracts the uniqueness of the color, which is created by the color change in the overlays. A closer look reveals the lack of repeat, and thus the most important wallpaper characteristic. Hannah Stippl pursues this interplay through the choice of the image carrier. Once she chooses paper and fixes it directly on the wall, then again a wooden body that distances the layer of paint from the wall in an almost object-like manner and thus clearly claims the status of a painting. Often, in the diptych-like combination of such colored surfaces, a non-objective part is juxtaposed with one with mostly floral patterns, thus creating a tension that Hubert Scheibl also works with in his multi-part canvases.

In Hannah Stippl's conception the coloring plays an important role. The lush sensuality of the color is initially reminiscent of the expressive tradition of Gunther Damisch or Wilhelm Seibetseder. It turns out, however, that in this area, too, with all the intuitive approach, calculation and ratio play a key role. The result is almost vibrating color networks with a resulting or programmed deja-vu effect. For example, color accords can be found in these works that are inextricably linked with the identity of the 50s or 70s. Even from these brief comparisons, one can see how much Hannah Stippl's work is based on individuality and creative intuition despite its rational-conceptual attitude. One possibility inherent in this special design method, which the artist also decidedly expresses, is its application to monumental formats, whereby an architectural context is sought. On the one hand, Hannah Stippl's roller pictures can be seen as self-referential paintings. This painting undoubtedly addresses itself as the special process of pigment application is at the center of the entire product: painting as non-painting, actually rolled prints with a painterly result, numerous repetitions of the same thing without actually producing a repeat, emphasized surface and yet considerable depth by overlay. On the other hand, the social context cannot be overlooked. The wallpaper imitation, the pattern on the whitewashed wall, a symbol for modest circumstances, for past times and the change in content by trying to imitate painting are also constitutional components of this art. Hannah Stippl plays a mischievous game with design options already coded by art history. Her personal synthesis achieved through consistent work makes her one of the most interesting and vital representatives of the new painting in Austria. In the face of such a painting, it is easy to say: the end of painting is not in sight!