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Eigensinn der Bilder

Hannah Stippls flächendeckender Textentzug als Reaktion auf das massenmediale Bilderangebot

Nora Sternfeld

Die Zeit ist nur ein Strom, in dem ich fische. Ich trinke aus ihm, doch während ich trinke, sehe ich den sandigen Grund und entdecke, wie flach der Strom ist.
— Henry David Thoreau

Keiner glaubt mehr wirklich, was in der Zeitung steht. Und doch oder vielleicht auch gerade deshalb sind Pierre Bourdieus Gedanken „Über das Fernsehen“ immer noch überzeugend darin, dass das, was für wichtig und existent gehalten wird, einer medialen Rezeptionslogik folgt. Wir glauben es vielleicht nicht, aber wir glauben zumindest, dass es relevant ist, darüber nachzudenken, ob es wahr ist oder eine Ente, wenn etwas in der Zeitung steht. Auch wenn wir es also nicht notwendig für wahr oder richtig halten, so erhält die Nachrichtenmeldung durch ihre Repräsentation in einer spezifischen Relation von Wort und Bild doch einen Status von Aktualität, Dringlichkeit und Relevanz. Dies verdankt sich unter anderem einem trotz aller Selbstverständlichkeit der Medienkritik immer noch wirksamen Eindruck von Evidenz, der von dem Spiel zwischen Bild und Wort in den Medien suggeriert wird - einer spezifischen Aufteilung des Sichtbaren und Sagbaren (1).

Hannah Stippl durchschneidet die Korrelation der beiden medialen Komplizen Bild und Wort, indem sie mit breiten Farbstrich einfach alles, was in der Zeitung steht, übermalt: monochrom, deckend und flächig. Was bleibt, sind die Bilder. Zeugnisse, die nichts mehr zu beweisen haben. Benennen heißt zeigen, macht Bourdieu klar, indem er aufzeigt, wie sehr das, was in der medialen Konfiguration zu sehen gegeben wird, von Worten bestimmt ist. (2) Die Beweiskraft der Bilder besteht weitgehend aus ihrem Kommentar. Darauf Bezug nehmend bemerkt Tom Holert treffend: „Im Fernsehen und noch mehr in den Zeitungen und Zeitschriften regiert die Legende.“ (3) Die Bilder werden also erst durch Text gesehen, erst durch Erläuterungen wirksam und bezeichnend. Eine ziemlich tautologische Beweisführung eigentlich: Worte machen Bilder wahr, die dabei jene wiederum bezeugen sollen. An genau dieser Stelle wirkt die Intervention von Hannah Stippl: Der Textentzug setzt einen Deutungsraum frei. Was geschieht nun, wenn die Bilder ihre Legende verlieren?

Zunächst werden sie dabei natürlich weder mehr noch weniger „authentisch“. Sie sind trotzdem nichts anderes als Teil einer umkämpften Sinnkonfiguration. Dies scheint hier wichtig zu erwähnen, da Medienformate wie „No Comment“ auf Euronews längst selbst das Verhältnis von Bild und Wort reflektieren. Dabei bleiben allerdings Neuigkeitswert und Wahrheitseffekt der Nachrichtenbilder völlig unangetastet: Als Konstruktionen „authentischer Zeugnisse“ sehen wir Aufnahmen, die den Euronews-Diskurs eher zu unterstreichen als zu hinterfragen vermögen, flankiert von Berichten, Kommentaren und Newsticker. Auch hier gilt also, was Hito Steyerl über die dokumentarische Wahrheit sagt: „Paradoxerweise ist sie gerade, weil niemand mehr an sie glaubt, so mächtig.“ (4) Demgegenüber stellen sich in Hannah Stippls Arbeiten und ihrer konzeptuellen Hängung Fragen, die die Zeitungen selbst mindestens so sehr adressieren, wie ihre Bilder: Wann sind welche Bilderformate in welchen Medienformaten eingesetzt? Was ist das Verhältnis von Text und Bild? Auf welcher Seite? Welche Motive haben Konjunktur? Und warum wollen wir eigentlich lieber gar nicht wissen, was in diesem Kleinformat stand? So drängt der künstlerische Eingriff Fragen nach dem Konstruktionscharakter, den Verfahrensweisen und Wahrheitseffekten der Repräsentation, aber auch nach der Medienlandschaft, die diese Konstellationen hervorbringt, auf. Wir sehen hier jedenfalls Bilder in einer Anordnung, die sichtbar werden lässt, dass sie gemacht sind und dass sie Wirklichkeiten weniger abbilden, als sie sie herstellen: Fotos, die Fakten schaffen. Die Bilder, denen die Legende verweigert wird, kommen dabei allerdings weder mehr noch weniger nah an eine Wahrheit heran; sie bleiben auch mit der breiten schwarzen Rahmung der Künstlerin als Zensorin instrumentelle Bilder. Und das ist vielleicht gerade ihr Potential: Diesseits von Bild- und Wahrheitspolitiken finden sich die Fotografien der Medien hier zugleich reproduziert und neu gebraucht. „Instrumentell sind Bilder ja weniger, weil sie einen identifizierbaren Autor oder eine Herkunft hätten, die ihren Zweck eindeutig bestimmen“, schreibt Tom Holert, „sondern weil sie auf mal kalkulierte, mal ungeplante Weise benutzt, aktualisiert, konsumiert, operationalisiert, manipuliert oder zensiert werden.“ (5) Und das macht Hannah Stippl fast alles zugleich, wenn sie die pixeligen Fotografien der Medien zum Medium ihrer künstlerischen Arbeit macht. Zweitens werden die Bilder ohne Legende natürlich zum Bestandteil eines künstlerischen Prozesses. Mit ihrer Strategie stellt Hannah Stippl sich in eine Tradition: In der Konzeptkunst gibt es mittlerweile eine lange Geschichte der analytischen Arbeit mit medialen Logiken, eine Kunstgeschichte der Meta-Bilder, der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Images der Massenmedien.

Zahlreiche künstlerische Untersuchungen von und Eingriffe in Medienmaterial machten seit den 1960er Jahren die Medien selbst zum Objekt der Investigation: Dort wo Nachrichten scheinbar unmittelbar berichtet, wo Faktizität behauptet wurde, thematisierten künstlerische Arbeiten, das, was gesagt und gezeigt wurde, als „gemacht“. So entwickelte sich eine selbstreflexive, medienkritische künstlerische Praxis als Form der Kritik inmitten der Politiken der Wahrheit und Sichtbarkeit. Diese gaben sich so spektakulär wie die Autounfälle der Desaster Bilder Andy Warhols (1962-64), so nüchtern wie die „Reduzierte Zahlung“ (1962) von Gerhard Rühm, bei der alle Worte der Zeitung schwarz übermalt wurden, bis auf das „Und“ oder so ideologiekritisch wie Martha Roslers Photomontagen, die unter dem Titel „Bringing the War home“ US-Kleinstadtidyllen mit dem Vietnamkrieg gegenschneidet (1967 to 1972 und für den Irakkrieg aktualisiert 2004). Anders als in der Geschichte der Medienkritik in der Wissenschaft verstehen sich die künstlerischen Untersuchungen gleichermaßen als analytisch und produktiv. Sie geben nicht vor, „objektiv“ zu sein und sie kritisieren die Bedingungen, ebenso sehr, wie sie sie nützen. Dabei wir der Zufall ein nicht außer Acht zu lassendes Element der Praxis. Je nachdem, was sich in einem bestimmten Zeitraum finden lässt, ändert sich die künstlerische Erzählung, die sich auf den Zufall und das gefundene Material einlässt, um es zu untersuchen. Das Ergebnis vermag dann ebenso sehr über die Bedingungen der Medien zu erzählen, wie über die AutorInnen. So leitete Tristan Tzara bereits in den 1920er Jahren an: „nimm eine zeitung. nimm eine schere. suche einen artikel aus von der länge des gedichts, das du machen willst. schneide ihn aus. dann schneide jedes seiner wörter aus und tue es in einen beutel. schüttele ihn. dann nimm einen ausschnitt nach dem anderen heraus und schreibe ihn ab. das gedicht wird sein wie du.“ (6) Das zerstückelte Verhältnis zwischen der Nachricht, dem Zufall und der Identifikation, von dem Tzara erzählt, führt zu einem weiteren Aspekt des Rests, der nach Hannah Stippls Textentzug bleibt: Denn drittens - ließe sich mit Lacan sagen - werden die Bilder, wenn sie das Symbolische ihrer Legende verlieren, imaginär.

Das „Imaginäre“ (das ja schon in seinem Namen vom Bild erzählt) ist bei Lacan neben dem Symbolischen (die Dimension der Sprache und des Gesetzes) und dem Realen (auf das im Folgenden noch eingegangen werden soll) die psychische Dimension der Selbstidentifikation im Spiegelstadium. Sie betrifft die Bilder, die wir uns von uns fabrizieren. Dieses Register heranziehend wird deutlich, dass Medienbilder natürlich nicht nur ohne, sondern auch mit Legende eine imaginäre Dimension haben: Wir erkennen uns in den Bildern wieder. Sie verweisen in eigentümlicher Weise auf uns als BetrachterInnen. So bemerkt Roland Barthes: „Jede Photographie hat mich als Bezugspunkt, und eben dadurch bringt sie mich zum Staunen.“ (7) Nun tun die Bilder das, Barthes zufolge, in zweifacher Weise. Sie verweisen einerseits auf das Betrachten, das mit unserem Wissen korelliert: das studium. Und sie betreffen andererseits diesen unplanbaren Moment, dieses „je ne sais quoi“, das plötzlich aus irgendeinem Grund mitten aus dem Bild heraus berührt: das punctum. An dieser Stelle ließe sich sagen, dass bei der Betrachtung der Bilder die Dimension des Imaginären jene des Realen berührt. Unter dem „Realen“ versteht Lacan nämlich das, was weder imaginär noch symbolisierbar ist. „Das Reale existiert nicht, es insistiert“ schreibt Lacan und benennt damit etwas, das sich nicht sagen lässt, das uns überkommt und sich als Präsenz aufdrängt. Dies entspricht ziemlich der Beschreibung des punctum bei Barthes: „Die Wirkung ist da, doch läßt sie sich nicht orten, sie findet weder ihr Zeichen noch ihren Namen; sie ist durchdringend und landet dennoch in einer unbestimmten Zone meines Ichs; sie ist schneidend und gedämpft, ein stummer Schrei. Seltsamer Widerspruch: sie ist ein dahintreibender Blitz.“

Wenn Hannah Stippl uns also die Legende und damit die mediale Sinnstiftung verweigert, dann werden offensichtlich zahlreiche neue Dimensionen der Photographien frei. (8) Eine davon ist die Auseinandersetzung mit dem Konstruktionscharakter medialer Bilder, mit ihrer Politik der Wahrheit. Die konzeptuelle Arbeit kann unter diesem Gesichtspunkt vielleicht als „Kritik“ im Foucaultschen Sinne verstanden werden. Denn dieser schrieb: „In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung.“ (9) Darüber hinaus mag dabei aber vielleicht auch Unplanbares zutage treten. Und so bringt Hannah Stippls hartnäckige Übermalung der medialen Informationen vielleicht einen Eigensinn der Bilder - mag es ihn geben oder nicht - dazu zu insistieren.

1 Dies verdeutlicht etwa auch Tom Holerts neues Buch Regieren im Bildraum, Berlin 2008

2 „nommer on le sait, c'est faire voir, c'est créer, porter á l'existence“ Pierre Bourdieu, über das Fernsehen

3 Tom Holert, Regieren im Bildraum, Berlin 2008, S 35

4 Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien 2008, S 14

5 Holert, S 29

6 Tristan Tzara, zit. n. Mon, Franz, collage in der literatur, in: prinzip collage, Franz Mon,Heinz Neidel (Hg.), Berlin 1968, S 50

7 Roland Barthes, Die Helle Kammer, Bemerkung zur Photographie. Frankfurt am Main 1985, S 94

8 Was nicht heißen soll, dass diese nicht bereits mit Legende mehr als nur die ihnen zugeschriebenen Dimensionen beinhalteten.

9 Michel Foucault, Was ist Kritik, Berlin 1992, S 15


The Stubbornness of Images

Hannah Stippl's widespread text withdrawal as a reaction to the mass media's offer of images

Nora Sternfeld

Time is but a stream in which I fish. I drink from it, but as I drink I see the sandy bottom and discover how shallow the stream is.
— Henry David Thoreau

No one really believes what they read in the newspapers anymore. And yet, or perhaps because of this, Pierre Bourdieu's thoughts "On Television" are still convincing in that what is considered important and existent follows a media logic of reception. We may not believe it, but we at least believe that it is relevant to think about whether it is true or a canard when something is in the newspaper. So even if we don't necessarily believe it to be true or right, the news story acquires a status of timeliness, urgency, and relevance through its representation in a specific relation of word and image. This is due, among other things, to an impression of evidence that is still effective, despite all the self-evidence of media criticism, and that is suggested by the play between image and word in the media - a specific division of the visible and the sayable (1).

Hannah Stippl cuts through the correlation of the two media accomplices, image and word, by simply painting over everything in the newspaper with broad strokes of color: monochrome, opaque, and two-dimensional. What remains are the images. Testimonies that no longer have anything to prove. To name is to show, Bourdieu makes clear by showing how much what is given to be seen in the media configuration is determined by words. (2) The evidential power of images consists largely of their commentary. Referring to this, Tom Holert aptly remarks: "On television, and even more so in newspapers and magazines, legend reigns." (3) The images are thus seen only through text, become effective and significant only through explanations. A rather tautological argument, actually: words make images real, which in turn are supposed to testify to those in the process. This is precisely where Hannah Stippl's intervention takes effect: the withdrawal of text frees up a space for interpretation. What happens now when the images lose their legend?

At first, of course, they become neither more nor less "authentic". Nevertheless, they are nothing else than part of a contested configuration of meaning. This seems important to mention here, since media formats like "No Comment" on Euronews have long since themselves reflected the relationship between image and word. However, the news value and truth effect of news images remain completely untouched: As constructions of "authentic testimonies," we see footage that is more likely to underscore than to question the Euronews discourse, flanked by reports, commentaries, and news tickers. So what Hito Steyerl says about documentary truth applies here as well: "Paradoxically, it is so powerful precisely because no one believes in it anymore." (4) In contrast, Hannah Stippl's works and their conceptual hanging pose questions that address the newspapers themselves at least as much as her images: When are which image formats used in which media formats? What is the relationship between text and image? On which page? Which motifs are in vogue? And why do we actually prefer not to know what was in this small format? Thus the artistic intervention pushes questions about the construction character, the procedures and truth effects of representation, but also about the media landscape that produces these constellations. In any case, we see images here in an arrangement that makes it visible that they are made and that they do not so much depict realities as produce them: Photographs that create facts. The images that are denied the legend, however, come neither more nor less close to a truth; they remain instrumental images even with the broad black framing of the artist as censor. And this is perhaps precisely their potential: beyond the politics of images and truth, the photographs of the media are found here both reproduced and used anew. "Instrumental, after all, images are not so much because they have an identifiable author or provenance that unambiguously determines their purpose," writes Tom Holert, "but because they are used, updated, consumed, operationalized, manipulated, or censored in sometimes calculated, sometimes unplanned ways." (5) And Hannah Stippl does almost all of this at once when she makes the media's pixelated photographs the medium of her artistic work. Second, without a legend, the images naturally become part of an artistic process. With her strategy, Hannah Stippl places herself in a tradition: in conceptual art there is now a long history of analytical work with media logics, an art history of meta-images, of artistic engagement with the images of the mass media.

Since the 1960s, numerous artistic examinations of and interventions in media material have made the media themselves the object of investigation: where news was apparently directly reported, where factuality was asserted, artistic works thematized what was said and shown as "made". Thus a self-reflexive, media-critical artistic practice developed as a form of critique in the midst of the politics of truth and visibility. These were as spectacular as the car crashes of Andy Warhol's Disaster Pictures (1962-64), as sober as Gerhard Rühm's "Reduced Payment" (1962), in which all the words of the newspaper were painted over in black except for the "And," or as critical of ideology as Martha Rosler's photomontages, which under the title "Bringing the War home" countercut U.S. small-town idylls with the Vietnam War (1967 to 1972 and updated for the Iraq War in 2004). Unlike the history of media criticism in academia, the artistic investigations see themselves as both analytical and productive. They do not pretend to be "objective" and they criticize conditions as much as they use them. At the same time, chance becomes an element of practice that cannot be disregarded. Depending on what can be found in a given period of time, the artistic narrative changes, engaging with chance and the found material in order to investigate it. The result is then able to tell as much about the conditions of the media as it does about the authors. Thus, as early as the 1920s, Tristan Tzara instructed, "take a newspaper. take a pair of scissors. pick out an article the length of the poem you want to make. cut it out. then cut out each of its words and put it in a bag. shake it. then take out one clipping at a time and copy it. the poem will be like you." (6) The fragmented relationship between the message, chance, and identification that Tzara recounts leads to another aspect of the remainder that remains after Hannah Stippl's textual withdrawal: For thirdly - it could be said with Lacan - when images lose the symbolic of their legend, they become imaginary.

For Lacan, the "imaginary" (which, after all, already tells us in its name about the image) is, along with the symbolic (the dimension of language and law) and the real (which will be discussed below), the psychic dimension of self-identification in the mirror stage. It concerns the images we fabricate of ourselves. Using this register, it becomes clear that media images naturally have an imaginary dimension not only without, but also with legend: We recognize ourselves in the images. They refer in a peculiar way to us as viewers. Thus Roland Barthes remarks: "Every photograph has me as its point of reference, and precisely because of this it makes me wonder." (7) Now, according to Barthes, the images do this in two ways. On the one hand, they refer to the viewing that correlates with our knowledge: the studium. And on the other hand, they concern this unplannable moment, this "je ne sais quoi" that suddenly touches for some reason in the middle of the image: the punctum. At this point it could be said that in the contemplation of the images the dimension of the imaginary touches that of the real. Indeed, by the "real" Lacan understands that which is neither imaginary nor symbolizable. "The real does not exist, it insists" writes Lacan, naming something that cannot be said, that comes over us and imposes itself as a presence. This is quite similar to Barthes' description of the punctum: "The effect is there, but it cannot be located, it finds neither its sign nor its name; it is pervasive and yet lands in an indeterminate zone of my ego; it is cutting and muffled, a silent cry. Strange contradiction: it is a drifting lightning."

Thus, when Hannah Stippl denies us the legend and thus the media's creation of meaning, numerous new dimensions of the photographs obviously become free. (8) One of them is the confrontation with the constructional character of media images, with their politics of truth. From this point of view, the conceptual work can perhaps be understood as "critique" in the Foucaultian sense. For the latter wrote: "In the game that could be called the politics of truth, critique would have the function of de-subjection." (9) Beyond that, however, perhaps the unplannable may emerge in the process. And so Hannah Stippl's persistent overpainting of media information perhaps brings an obstinacy of images - may it exist or not - to insist.

1 This is also illustrated by Tom Holert's new book Regieren im Bildraum, Berlin 2008.

2 "nommer on le sait, c'est faire voir, c'est créer, porter á l'existence" Pierre Bourdieu, on television.

3 Tom Holert, Governing in Image Space, Berlin 2008, p 35.

4 Hito Steyerl, The Color of Truth. Documentarisms in the Art Field, Vienna 2008, p 14.

5 Holert, p 29

6 Tristan Tzara, quoted in Mon, Franz, collage in der literatur, in: prinzip collage, Franz Mon,Heinz Neidel (eds.), Berlin 1968, p 50.

7 Roland Barthes, Die Helle Kammer, Bemerkung zur Photographie. Frankfurt am Main 1985, p 94

8 Which is not to say that these did not already include with legend more than just the dimensions attributed to them.

9 Michel Foucault, What is Criticism, Berlin 1992, p 15.


Das Bild als selektiver Informationsträger

Hannah Stippls subversive Anleitung zum Widerstand

Hartwig Knack, 2008

Wenn ich an den Worten zweifle, die an die Mauern geschrieben sind und uns von den Massenmedien geradezu eingehämmert werden, wenn ich an den Gesichtern auf den Bildern zweifle, an den subtilen Dialektiken, an den Wortführern, an den Übertragungen überhaupt, den endlosen Diskussionen in gelehrter Runde und selbst den Gleichungen, welche die Energie aus dem Dunkel der Elemente schöpfen, dann heißt das nicht, dass ich sie für falsch hielte. Diese Worte vermögen gerade deshalb so sehr zu täuschen, weil sie es nicht immer tun.
— Michel Serres
Ich zweifle also an jeglichem Wort, seit das Wort eine Kraft ist.
— Michel Serres

Mehr denn je wird heute politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit vor allem durch die Medien gebildet, und zwar primär durch Bilder und weniger durch einen argumentierenden Diskurs. Vorgegebene „programmierte“ Bilder und Reize treten sowohl in den Printmedien als auch im Fernsehen immer massiver an die Stelle eines kritischen Reflektierens. Zum Selbstverständnis Hannah Stippls als Künstlerin gehört, den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, den Zustand unserer Zivilisiertheit mit ihren Defiziten und Gefahren immer im Auge zu behalten. Hannah Stippl arbeitet grundsätzlich in Serien. Über ein Jahr Zeit hat sie aufgewendet, um weit mehr als 300 Übermalungen von Zeitungsseiten zum Thema fertig zu stellen. Für die Schau im Oberhausener Verein für aktuelle Kunst hat sie nun knapp 20 Werke aus der Serie noticed_08/09 ausgewählt, die inhaltlich den Konstruktionscharakter medial erzeugter Wirklichkeit als Problem erfassen.

„Der Bär“, „Mädchen mit Käfer“, „Die Reise“, „Junge mit Moskitonetz“ oder „14.3.2008“ sind die einprägsamen wie lapidaren Titel der zumeist vielteiligen Arbeiten. Ob Süddeutsche Zeitung, Financial Times oder die Österreichische Kronenzeitung, die Künstlerin schwärzt und übermalt sie alle. Für ihre Zwecke interessante oder relevante Fotos bleiben von den Pastellkreiden verschont, werden ausgespart, um „Geschichten zu provozieren“. „Viele Tage versinken im Schwarz der Geschichte.“, sagt Hannah Stippl. Ihre Geschichten kommen gänzlich ohne Text aus, der nämlich ist völlig eliminiert, von farbigen und schwarzen Kreiden überdeckt.

Generell versteht man unter der manuellen Maßnahme der Schwärzung die nachträgliche Unkenntlichmachung von Textpassagen durch Einfärbung mit schwarzer Farbe. Banales Ziel ist, dass die geschwärzten Passagen nicht mehr gelesen werden können. Schwärzung bedeutet im politischen Kontext Zensur. Hier sollen Informationswege gestört, vermittelte und unerwünschte Inhalte kontrolliert und unterdrückt werden. Sehr anschaulich und plakativ führt Hannah Stippl in dem zwanzigteiligen Werk „14.3.2008“ vor, wie einfach Zensur funktionieren kann: Eine vollständige Ausgabe der Kronenzeitung hat die Künstlerin schwarz überarbeitet. Nicht aber, um diktatorisch Informationskontrolle auszuüben, sondern um auf die gängige Praxis der printmedialen selektiven Informationsweitergabe aufmerksam zu machen. Hannah Stippl enthält uns durch die Schwärzung zwar faktisch Informationen vor, will aber dennoch nichts verschweigen oder verheimlichen, hingegen sichtbar machen. Ohne Worte erreicht ihre offensichtliche Kritik an dem Kleinformat die Rezipienten: Ihr müsst nicht alles lesen, was euch vorgesetzt wird, ihr dürft nicht alles glauben, was ihr seht. Mit ihrem Tun steht die Künstlerin nicht allein da. Wiederholt wurde und wird die Schwärzung auch als (satirisches) Stilmittel angewandt, wenn auf Missstände zugespitzt hingewiesen werden soll. So erschien die Wochenendausgabe des Donaukurier, eine oberbayerische regionale Tageszeitung mit Sitz in Ingolstadt, vom 3./4. November 2007 mit komplett geschwärzter Titelseite, um auf empfundene Einschränkungen von Grundrechten und der Pressefreiheit hinzuweisen.

Wahrnehmung ist von sich aus immer selektiv, da der Mensch nicht alle Daten, die von außen auf ihn einwirken, gleichzeitig wahrnehmen kann. Alle bildgewaltigen Medien machen sich das psychologische Phänomen der selektiven Wahrnehmung zunutze, bei dem grundsätzlich nur bestimmte Aspekte der Umwelt wahrgenommen und andere ausgeblendet werden. Tagtäglich wird uns eine Flut von visuellen Signalen vorgesetzt, der man sich kaum entziehen kann. Die einzige Chance bestünde in einer Wahrnehmungsverweigerung, die wiederum einer Realitätsverweigerung gleich käme. Es bleibt uns also kaum etwas anderes übrig, als uns also mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen und uns mit der Tatsache zu konfrontieren, dass wir durch die Medien nur mit gefilterten Informationen, die gewissen Zielsetzungen und Ideologien entsprechen, versorgt werden. Dass durch eine solche einseitige Selektion von Informationen in den Medien Zerrbilder entstehen können, dessen ist sich Hannah Stippl wohl bewusst. Und genau an diesem Punkt scheint ihre Medienkritik anzusetzen: Die Lenkung der Wahrnehmung als subversive Zensur durch die Medien. In ihrer Serie noticed_08/09 wendet Hannah Stippl genau dieses Vorgehen der (Print-)Medien an: Durch die Löschung bestimmter Informationen und gleichzeitiger Hervorhebung anderer selektiert die Künstlerin, setzt uns Rezipienten „Fertiges“ vor und nimmt uns dadurch gewissermaßen die Möglichkeit aus den Informationen, die eine Zeitungsseite eigentlich bereit hält, autonom auszuwählen. Aus gutem Grund beseitigt Hannah Stippl durch Übermalung lange Textabschnitte und kleine Abbildungen und lässt hingegen einprägsame Fotografien stehen. Der Süddeutschen Zeitung attestiert sie in diesem Kontext „einen besonderen Umgang mit Bildmaterial“. Dieses Printmedium gebe im Vergleich zu anderen „den Bildern mehr Platz“, die Abbildungen seien zudem „wesentlich größer“. Für „Medienmacher“ haben Bildwirkungen gegenüber Sprachwirkungen einen entscheidenden Vorteil: Bilder und Fotografien werden kognitiv wesentlich schneller erfasst als Texte, der Adressat wird durch visuelle Reize gezielter erreicht. Diesen manipulativen Umgang mit Bildern macht Hannah Stippl zum Thema. Durch das planmäßige Einsetzen von Selektion, Fokussierung und Reizschaffung erzielt Hannah Stippl in ihren Arbeiten eine bildmächtige Konstruktion von Realität, die uns in der Medienwelt überall begegnet.

Hannah Stippls Kunst war nie und ist auch heute kein Instrument der Zustimmung, sondern der Kritik. In ihrer Kunst bezieht sie Position und versucht, Widersprüche und deren Ursprünge aufzudecken und bewusst zu machen, statt sie harmonisierend zu verschütten. Im Kern der Serie noticed_08/09 geht es darum, eine Facette des Zustands der medialen Öffentlichkeit aufzuzeigen. Der Künstlerin geht es um die Erörterung der Fragwürdigkeit der Meinungsbildung einerseits, der Meinungsabsonderung andererseits - kurz, um das kritische Hinterfragen der seit langem zu beobachtenden, immer weiter zunehmenden Verschmelzung von Politik und Medien.


2009 Zeitungsübermalungen. Ausstellung und Artist in Residence, Verein für aktuelle Kunst/Ruhrgebiet e.V., Oberhausen (D)


  The Image as Selective Information Carrier

    Hannah Stippl's subversive guide to resistance

    Hartwig Knack, 2008

If I doubt the words written on the walls and virtually hammered into us by the mass media, if I doubt the faces on the pictures, the subtle dialectics, the spokesmen, the transmissions in general, the endless discussions in learned circles, and even the equations that draw energy from the darkness of the elements, it does not mean that I think they are false. These words are able to deceive so much precisely because they do not always do so.
— Michel Serres
So I doubt every word since the word is a force.
— Michel Serres

Today, more than ever, political and social publics are formed primarily through the media, and primarily through images rather than argumentative discourse. Preset "programmed" images and stimuli are increasingly taking the place of critical reflection, both in the print media and on television. Part of Hannah Stippl's self-image as an artist is to put her finger in the wounds of society, to always keep an eye on the state of our civilization with its deficits and dangers. Hannah Stippl always works in series. She has spent over a year to complete far more than 300 overpaintings of newspaper pages on the subject. For the show at the Oberhausen Verein für aktuelle Kunst, she has now selected nearly 20 works from the noticed_08/09 series, the content of which captures the constructional character of media-generated reality as a problem.

"The Bear," "Girl with Beetle," "The Journey," "Boy with Mosquito Net," or "14.3.2008" are the catchy as well as succinct titles of the mostly multipart works. Whether Süddeutsche Zeitung, Financial Times or the Austrian Kronenzeitung, the artist blackens and paints over them all. Photos that are interesting or relevant for her purposes are spared by the pastels, left out to "provoke stories." "Many days sink into the black of history," says Hannah Stippl. Her stories manage entirely without text, namely, it is completely eliminated, covered by colored and black chalks.

In general, the manual measure of blackening is understood as the subsequent rendering of text passages unrecognizable by coloring them in with black paint. The banal goal is that the blackened passages can no longer be read. In the political context, blackening means censorship. Here, information paths are to be disturbed, mediated and undesirable content controlled and suppressed. Very vividly and strikingly, Hannah Stippl demonstrates in the twenty-part work "14.3.2008" how easily censorship can work: The artist has reworked a complete issue of the Kronenzeitung in black. Not, however, in order to exercise dictatorial control over information, but rather to draw attention to the common practice of print media's selective dissemination of information. By blackening, Hannah Stippl in fact withholds information from us, but nevertheless does not want to conceal or hide anything, but rather to make it visible. Without words, her obvious criticism of the small format reaches the recipients: You must not read everything that is put in front of you, you must not believe everything you see. The artist is not alone in her actions. Blackening was and is repeatedly used as a (satirical) stylistic device when grievances are to be pointed out. For example, the weekend edition of the Donaukurier, an Upper Bavarian regional daily newspaper based in Ingolstadt, of November 3-4, 2007, appeared with its front page completely blacked out to point out perceived restrictions on basic rights and freedom of the press.

Perception is always inherently selective, since humans cannot simultaneously perceive all the data that impinge on them from the outside. All image-rich media make use of the psychological phenomenon of selective perception, in which basically only certain aspects of the environment are perceived and others are blanked out. Every day we are presented with a flood of visual signals that we can hardly escape. The only chance would be a denial of perception, which in turn would be tantamount to a denial of reality. So there is hardly anything left for us to do but to deal with the realities and to confront ourselves with the fact that we are only supplied by the media with filtered information that corresponds to certain objectives and ideologies. Hannah Stippl is well aware that such a one-sided selection of information in the media can create distorted images. And it is precisely at this point that her critique of the media seems to begin: The steering of perception as subversive censorship by the media. In her series noticed_08/09 Hannah Stippl applies exactly this procedure of the (print) media: By deleting certain information and simultaneously emphasizing others, the artist selects, presents us recipients with "finished products" and thereby, in a sense, deprives us of the possibility to autonomously select from the information that a newspaper page actually holds. For good reason, Hannah Stippl eliminates long sections of text and small illustrations by painting over them, leaving memorable photographs instead. In this context, she attests to the Süddeutsche Zeitung's "special way of dealing with pictorial material. Compared to others, this print medium gives "more space to the pictures" and the illustrations are also "considerably larger. For "media makers," image effects have a decisive advantage over language effects: images and photographs are cognitively grasped much faster than texts, and the addressee is reached more specifically through visual stimuli. Hannah Stippl makes this manipulative use of images her subject. Through the systematic use of selection, focusing and stimulus creation, Hannah Stippl achieves in her works a pictorially powerful construction of reality, which we encounter everywhere in the media world.

Hannah Stippl's art has never been and still is not an instrument of approval, but of criticism. In her art, she takes a stand and tries to uncover contradictions and their origins and make them conscious, instead of harmonizingly burying them. At the core of the noticed_08/09 series is the aim of revealing one facet of the state of the media public sphere. The artist is concerned with discussing the dubiousness of opinion-forming on the one hand, opinion-segregation on the other - in short, with critically questioning the ever-increasing fusion of politics and media that has been observed for a long time.