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Formalismen sind obsolet

Eröffnungsrede zur Ausstellung Painting! im Barockschlössl Mistelbach, 2004

Silvie Aigner, Chefredaktion Parnass Kunstmagazin

“horizont_02”, 2002, Gouache auf Papier, 56 x 76 cm

Ich freue mich sehr heute ein paar einleitende Worte zur Ausstellung zu sprechen zu dürfen. Einerseits natürlich weil ich die Arbeit von Hannah sehr schätze und immer wieder neugierig bin, wie sich ihr Werk weiterentwickelt und andererseits weil ihr Oeuvre auch ein Beispiel für die zeitgenössische Relevanz von Malerei ist. Mehrmals seit den russischen Konstruktivisten wurde die Malerei als Technik oder das Tafelbild als Medium für obsolet oder so gar tot erklärt. Edelbert Köb, Direktor des Museums moderner Kunst, wurde, gemeinsam mit dem damaligen Rektor der Akademie der bildenden Künste, Carl Pruscha, als Totengräber der Malerei bezeichnet, als er an der Akademie eine Foto- und eine Medienklasse einrichtete. Es wurde als Angriff auf die Substanz der Kunst gewertet. Demgegenüber steht allerdings eine vitale und ungebrochene Kontinuität der malerischen Praxis vieler zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen, so wie die stets euphorisch reklamierte Wiedergeburt der Malerei zu den verschiedensten Zeiten. Was Toni Stooss, den ersten Direktor der Kunsthalle Wien, veranlasste von der Malerei als dem notorischen Lazarus der jüngeren Kunstgeschichte zu sprechen. 

Nun, welche Rolle spielt Malerei in der zeitgenössischen Kunst heute? Die Auseinandersetzung zwischen abstraktiver Kunst, so der Terminus dafür in den 50er Jahren, und den Anhängern einer figurativen Malerei beeinflusst durch die surrealistischen Tendenzen um Edgar Jéne im Art Club sind definitiv vorbei. Diese Diskussion war bereits medienübergreifend und betraf nicht nur die Malerei, sondern auch Grafik und Skulptur. Dennoch, die Gattungen waren noch voneinander getrennt, und in der Folge sprach man der Malerei oft ihren Platz ab, Installationen, Neue Medien Fotografie und die Konzeptkunst reüssierten. Die Neuen Wilden setzten der konzeptuellen und feministischen Kunst der ausgehenden 70er Jahre eine, und das muss man auch erwähnen, männlich dominierte expressive Malerei entgegen, ein pastoser, gestischer Pinselduktus zeigte Malerei um ihrer selbst Willen. Die jüngere Generation arbeitete in der Folge jedoch wieder stärker im gesellschaftskritischen Diskurs oder sah ihr Werk im kunstimmanenten Kontext. Die Malerei suchte das Crossover oder wurde nicht selten selbst zur Raumkunst wie dies unter anderem in der Ausstellung Raum-Malerei in der Landesgalerie Oberösterreich zu sehen war. Doch jenseits oder vielmehr inmitten all dieser Diskurse von einer gesellschaftlich-relevanten Interaktion bis hin zur bloßen Selbstreferenz ist die Tradition der Malerei eine ungebrochene, wenngleich sie uns seltener als früher in der Form des reinen Tafelbildes gegenüber tritt. Vielmehr werden die Formen des Tafelbildes verändert und nicht selten mehrere Medien miteinander vermischt, oder sie ist eine unter mehreren Ausdrucksmöglichkeiten, deren sich die Künstler und Künstlerinnen bedienen. 

Sind die ausgestellten Arbeiten von Hannah Stippl nun Tafelbilder im herkömmlichen Sinn? Mit Malerei haben sich sicher etwas zu tun, doch weder gehören sie in den Bereich der gestische wilden, expressiven Malerei, und auch nicht so richtig, obwohl sie mitunter diesen zugeordnet werden, in den konkreten Bereich der Malerei. Vielmehr sind sie ein Beispiel für die Vielfalt, für den Pluralismus in der heutigen Kunst, der wohltuend ehemalige Formalismen obsolet erscheinen lässt. Sie selbst nennt jedoch durchaus kunsthistorische Strömungen wie Minimal Art, oder auch auf Konzeptkunst basierende Malerei als Ansatzmöglichkeiten. 

“horizont_02”, 2002, Gouache auf Papier, 56 x 76 cm


Während ihres Studiums an der Universität für angewandte Kunst begann Hannah Stippl mit Mustern zu arbeiten. Armeleutetapeten nannte man einst diese mit Gummiwalzen erzeugten Muster, die Wohnräume, aber vor allem Stiegenhäuser zierten und von der Künstlerin dort auch erstmals bewusst wahrgenommen wurden. Eine regelrechte Jagd auf Musterwalzen begann, heute besitzt sie ungefähr 200 davon. 1997 begann sie damit zu experimentieren, eine individuelle Formensprache zu erarbeiten, bis hin zu den uns hier eindrucksvoll präsentieren Werkserien von Gouachen auf Papier, großformatigen Leinwandbildern und auch Rauminstallationen. 

Hannah Stippl arbeitet stets in Serien, einerseits aus rein technisch pragmatischen Gründen, andererseits braucht es serielles Arbeiten um sich in ein Thema einzuarbeiten und die Möglichkeiten der künstlerischen Umsetzung auszuloten. Hier sehen wir die Serie mit dem Titel horizont, die 2002 entstand. Die farbliche Intensität ihrer Bildflächen besteht darin, die Farben nicht nur nebeneinander zu walzen, sondern in zahlreichen Schichten übereinander zu legen und mit gemalten Schichten dicht zu verweben. Die transparenten Lasuren ermöglichen das Hindurchscheinen unterer Farbschichten, opake Felder lassen Farbe wieder verschwinden, neue Farbräume entstehen. Wenngleich Wahrnehmungen von Landschaft, konkret hier einem von der Künstlerin seit vielen Jahren bereisten Landstrich von Spanien, den Bildern zu Grunde liegen, löst sich die Malerei davon sich dieser Wirklichkeit in mimetischer Weise anzunähern oder eine Illusion von Realität aufrecht zu erhalten. Die Künstlerin intendiert sehr bewusst die Möglichkeiten mehrdeutiger Lesbarkeit für den Betrachter. Als Reflexionen von Licht an der Wasseroberfläche, als Blumenwiesen, Strauchgeflechten, als Webmuster, im Sinne des Textilen oder eben als rein malerische Struktur. Von Landschaft wird das Atmosphärische wiedergegeben, was sich auch in der bewussten Auswahl der Palette ausdrückt. So findet sich in der Serie kein reines Rot. Landschaften oder auch Sounds, atmosphärisch Wahrgenommenes im Allgemeinen liegen auch der zweiten in der Ausstellung gezeigten Serie böschung, ebenfalls 2002 entstanden, zugrunde. Landschaftliche Eindrücke verändern die Palette. Die Arbeitsreise durch die USA, von Santa Monica nach Santa Fé , lies rosa, schon fast pink, in den Vordergrund treten und Musterwalzen mit Palmenmotiven kamen zum Einsatz, die sich selbstverständlich bereits im Fundus der Künstlerin befanden. Hinweisen möchte ich auch auf die gerade im Entstehen befindlichen Arbeiten. Serien von jeweils drei Bildern dicht aneinander gehängt, als horizontales Band. Architektonische Strukturen, weite Horizonte und Walzenformationen, an undurchdringliches Dschungeldickicht erinnernd oder das was man sich weitläufig darunter vorstellt, werden neben einander gesetzt. Anstelle der dicht gewebten Struktur, tritt nun der Wechsel von freier, monochrom gemalter Fläche durch die blass wie eine Erinnerung Walzenmuster hindurch scheinen zu dichten schwarzen Ballungsräumen. 

Nun haben wir die Künstlerin als Malerin kennen gelernt, doch ist es mir auch sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass Hannah Stippl selbst in vielen Projekten kuratorisch tätig ist, sei es im Rahmen eines Austausches zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie dem Oman und Österreich oder als Kuratorin für die IG Bildende Kunst. Gerade in diesem Zusammenhang ist erst vor kurzem eine in die Zukunft weisende Zusammenarbeit mit einer ähnlich aufgebauten Künstlervereinigung in Budapest geschlossen worden. Oder ihr eigener Raum pool in Wien, der seit 2003 Raum bietet für österreichische und vor allem internationale Künstler und Künstlerinnen. Erinnert sei auch an die gemeinsam mit Lorenz Seidler gestalteten T-Shirts Resistence Ware zum Auftakt der neuen Koalition in Österreich. Auch in der Gruppenausstellung "Abschreckung" in Steyr, an der die Künstlerin teilnimmt, stellt Hannah Stippl ihre Malerei ganz konkret in den Kontext einer gesellschaftskritischen Position und arbeitet basierend auf ihren Walzenstrukturen mit militärischen Camouflagemustern und Text.

Wie ich eingangs erwähnt habe, ist auch das Oeuvre von Hannah Stippl ein Beispiel dafür, dass Malerei eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten einer jungen vitalen Künstlerschaft ist, wenngleich es für Hannah Stippl ein zentrales Medium bleibt. Eines mit einer großen Bandbreite. Von einer selbstreferenziellen Malerei durch das spezielle Verfahren des Pigmentauftrages, bis zur Thematisierung gesellschaftlicher Codierungen im Hinblick auf die Wandmalerei, die sowohl für Geschmacksfragen, jedoch auf für gewisse soziale Schichten stehen. Zu guter Letzt auch, wollte man sie auf den Inhalt reduzieren, die zeitgenössische Umsetzung der Landschaftsmalerei jenseits der heute auch wieder modernen narrativen, illustrativen Position. Doch all dies bestätigt, was der Literaturnobelpreisträger und Maler Geo Xingjian in seinen "Gedanken zur Malerei" bekannte: "Ob Kunst mehr ist als leeres Gerede, entscheidet sich an der Oberfläche des Bildes".


Formalisms are obsolete

Opening speech for the exhibition Painting! at Barockschlössl Mistelbach, 2004

Silvie Aigner, Chief Editor Parnass Kunstmagazin 

I am very pleased to be able to say a few introductory words about the exhibition today. On the one hand, of course, because I value Hannah's work very much and am always curious to see how her work develops, and on the other hand, because her oeuvre is also an example of the contemporary relevance of painting. Several times since the Russian Constructivists, painting as a technique or the panel painting as a medium has been declared obsolete or even dead. Edelbert Köb, director of the Museum of Modern Art, together with the then rector of the Academy of Fine Arts, Carl Pruscha, was called the gravedigger of painting when he established a photography class and a media class at the Academy. It was seen as an attack on the substance of art. In contrast, however, there is a vital and unbroken continuity in the painterly practice of many contemporary artists, as well as the rebirth of painting at various times, which is always euphorically proclaimed. What prompted Toni Stooss, the first director of the Kunsthalle Wien, to speak of painting as the notorious Lazarus of recent art history.

Well, what role does painting play in contemporary art today? The debate between abstract art, the term for it in the 1950s, and the adherents of figurative painting influenced by the surrealist tendencies around Edgar Jéne in the Art Club are definitely over. This discussion was already cross-media and concerned not only painting, but also graphic art and sculpture. Nevertheless, the genres were still separated from each other, and as a result, painting was often denied its place, installations, new media photography, and conceptual art succeeded. The New Wilds countered the conceptual and feminist art of the late 1970s with a - and this must also be mentioned - male-dominated expressive painting, an impasto, gestural brushstroke showed painting for its own sake. The younger generation, however, subsequently worked more in a socio-critical discourse or saw their work in an art-immanent context. Painting sought crossover or, not infrequently, became spatial art itself, as could be seen, among other things, in the exhibition Raum-Malerei (Space Painting) at the Landesgalerie Oberösterreich (Upper Austria State Gallery). But beyond or rather in the midst of all these discourses ranging from a socially relevant interaction to mere self-reference, the tradition of painting is an unbroken one, even if it confronts us more rarely than before in the form of the pure panel painting. Rather, the forms of the panel painting are altered and not infrequently several media are mixed together, or it is one among several means of expression that the artists make use of.

Are the exhibited works by Hannah Stippl panel paintings in the conventional sense? They certainly have something to do with painting, but neither do they belong to the realm of gestural, wild, expressive painting, nor do they really belong, although they are sometimes assigned to this, to the concrete realm of painting. Rather, they are an example of diversity, of pluralism in today's art, which pleasantly makes former formalisms seem obsolete. However, she herself mentions art-historical currents such as Minimal Art, or painting based on Conceptual Art, as possible approaches.

During her studies at the University of Applied Arts, Hannah Stippl began to work with patterns. These patterns, created with rubber rollers, were once called "army wallpaper" and adorned living rooms, but above all stairwells, where they were first consciously perceived by the artist. A real hunt for pattern rollers began, and today she owns about 200 of them. In 1997 she began to experiment with developing an individual formal language, culminating in the series of works impressively presented to us here - gouaches on paper, large-format canvas paintings and also room installations.

Hannah Stippl always works in series, on the one hand for purely technically pragmatic reasons, on the other hand serial work is needed to familiarize oneself with a theme and to explore the possibilities of artistic implementation. Here we see the series entitled horizont, which was created in 2002. The color intensity of her pictorial surfaces consists in not only rolling the colors next to each other, but in placing them in numerous layers on top of each other and weaving them tightly together with the layers painted on top of them. The transparent glazes allow the lower layers of color to shine through, opaque fields allow color to disappear again, new color spaces emerge. Although the paintings are based on perceptions of landscape, specifically a region of Spain that the artist has traveled through for many years, the painting does not approach this reality in a mimetic way or maintain an illusion of reality. The artist very consciously intends the possibilities of ambiguous readability for the viewer. As reflections of light on the surface of water, as flower meadows, shrubberies, as weaving patterns, in the sense of the textile or just as a purely painterly structure. From landscape, the atmospheric is reproduced, which is also expressed in the deliberate choice of palette. Thus, there is no pure red in the series. Landscapes or also sounds, atmospherically perceived things in general are also the basis of the second series shown in the exhibition böschung, also created in 2002. Landscape impressions change the palette. The working trip through the USA, from Santa Monica to Santa Fé, let pink, almost pink, come to the fore and pattern rollers with palm motifs were used, which were of course already in the artist's collection. I would also like to point out the works that are currently being created. Series of three pictures each hung closely together, as a horizontal band. Architectural structures, wide horizons and roller formations, reminiscent of impenetrable jungle thickets or what one imagines broadly under it, are set next to each other. Instead of the densely woven structure, there is now the change from free, monochrome painted surface through which pale like a memory roller patterns shine through to dense black agglomerations.

Now we have gotten to know the artist as a painter, but it is also very important for me to point out that Hannah Stippl herself is active as a curator in many projects, whether in the context of an exchange between cultures as different as Oman and Austria or as a curator for the IG Bildende Kunst. It is precisely in this context that a collaboration pointing to the future was recently concluded with a similarly structured artists' association in Budapest. Or her own space pool in Vienna, which since 2003 offers space for Austrian and especially international artists. It is also worth remembering the T-shirts Resistence Ware designed together with Lorenz Seidler to mark the start of the new coalition in Austria. Also in the group exhibition "Abschreckung" in Steyr, in which the artist participates, Hannah Stippl places her painting very concretely in the context of a socio-critical position and works based on her roller structures with military camouflage patterns and text.

As I mentioned at the beginning, Hannah Stippl's oeuvre is also an example of how painting is one of many means of expression for a young vital artist, although it remains a central medium for Hannah Stippl. One with a wide range. From a self-referential painting through the special procedure of pigment application, to the thematization of social codes with regard to mural painting, which stand both for questions of taste, but also for certain social classes. Last but not least, if one wanted to reduce it to the content, the contemporary realization of landscape painting beyond the narrative, illustrative position, which is also modern again today. But all this confirms what the Nobel Prize winner for literature and painter Geo Xingjian confessed in his "Thoughts on Painting": "Whether art is more than empty talk is decided on the surface of the picture".